Prof. Dr. Leonie Kampe

Psychological Diagnostics

IPU Berlin
Stromstr. 3b - Raum 1.08
10555 Berlin
Tel.: +49 30 300 117-500
E-Mail: leonie.kampe(at)ipu-berlin.de

 

Lehre

Der Schwerpunkt meiner Lehre liegt in der Vermittlung eines diagnostischen Blicks, der weit über die Klassifikationssysteme hinaus geht: Gute klinische Praxis und jeder gelingende psychotherapeutische Prozess fußt auf und lebt von einem wachen und lebendigen diagnostischen Blick, der sich stets selbst zu hinterfragen weiß. Ich möchte mit Ihnen Modelle diskutieren, die unser Sehen und Hören formen und gemeinsam über Fragen nachdenken, die uns immer wieder beschäftigen: Was bedeutet eigentlich Persönlichkeit? Wie misst man sie? Und wie kann eine Persönlichkeit „krank“ oder „gestört“ sein?

 

Aus meiner zehnjährigen psychiatrisch-psychotherapeutischen Tätigkeit möchte ich mit Ihnen über Fallbeispiele diskutieren, Videomaterial anschauen, diagnostische Techniken in klinisch herausfordernden Situationen ausprobieren und den Einfluss des Faktors Mensch durch Abwehr, Scham und Widerstand im diagnostischen Prozess erlebbar werden lassen. Mein Ziel ist es, Ihnen vielfältige Modelle, methodische Kompetenz und praktische Erfahrungen zu vermitteln – aber vor allem, Ihre Lust und Neugierde auf klinische Diagnostik zu wecken und die Fähigkeit auszubilden, den eigenen Binnenraum als diagnostischen Reflektor einzusetzen.

 

In meinen Seminaren zu Dimensionalen Diagnostischen Modellen möchte ich Ihnen die Gelegenheit geben, diagnostische Zugänge kennenzulernen, die weggehen von der Dichotomie krank vs. gesund. Anhand von klinischem Videomaterial lernen Sie die Dimensionalität von Narzissmus, strukturellen Störungen, Abwehrmechanismen und Gegenübertragung kennen und ihre Bedeutung für den diagnostischen Prozess einzuordnen.

In der Vorlesung Klinische Diagnostik und Begutachtung im neuen Psychotherapie Masterstudiengang bereite ich Sie auf alle Themenbereiche der klinischen Diagnostik vor, die Sie für Ihre Approbationsprüfung brauchen. Hier besprechen wir diagnostische Zugänge aus unterschiedlichen Therapieschulen, laden Experten der unterschiedlichen Verfahren ein und widmen uns sensiblen klinisch-diagnostischen Situationen wie dem Erstellen von Risikoprofilen bei Suizidalität, der Diagnostik von Ressourcen oder Diagnostik der therapeutischen Beziehung. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Modellen und Methoden der psychodynamischen Diagnostik. In den anschließenden Gutachtenseminaren sollen Sie die Gelegenheit bekommen, den Prozess psychologischer Gutachtentätigkeit selbstständig durchzuführen und von der Planung über die Durchführung bis zur Verschriftlichung bei Ihrem psychologischen Gutachten angeleitet werden.

Im Bachelorstudiengang betreue ich die Übungen zu Angewandter Diagnostik und biete auch hier einen klinischen Schwerpunkt zum Kennenlernen erster diagnostischer Instrumente an.

 

Ich bin davon überzeugt, dass ein offener, präziser, leidenschaftlicher und selbstkritischer diagnostischer Blick Ihnen in ihrer klinischen Praxis, bei der Bearbeitung von Forschungsfragen und in allen anderen Bereichen der Psychologie ein wertvolles Handwerkszeug ist, auf das ich mich freue, es mit Ihnen gemeinsam auszuprobieren!

Forschung

Mein Forschungsschwerpunkt dreht sich um unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeit (z.B. Narzissmus, Persönlichkeitsorganisation, Bindung, Abwehr) und wie sich diese auf die Entstehung psychischer Erkrankungen, die Beziehungsfähigkeiten, die therapeutische Gegenübertragung und auf unterschiedliche Aspekte des Therapieerfolges auswirken. Insbesondere interessiert mich die Kollusion von Patienten- und Therapeutenpersönlichkeiten und wie sich aus dem Wechselspiel von Nähe, Angst und Abwehr unterschiedliche Phasen der therapeutischen Beziehung auf das Gelingen oder Stagnieren eines Therapieprozesses auswirken.

 

Habilitationsprojekt: Zum Zusammenhang von Bindung, Abwehr und Persönlichkeit

Im Rahmen meiner Habilitation an der Universität Innsbruck (Prof. Dr. A. Buchheim) beschäftige ich mich mit der Frage, inwiefern die aus der Entwicklungspsychologie bekannten Bindungskategorien (sicher, unsicher-distanziert, unsicher-verstrickt, traumatisiert) als Überkategorien für spezifische dominierend verwendete Abwehrformationen zu verstehen sind. Auf Basis meines Forschungsaufenthaltes in der Arbeitsgruppe von Otto Kernberg am Personality Disorders Institute, New York, und meiner Teilnahme am dreijährigen Reliabilitätstraining zum Adult Attachment Interview an der Universität Berkeley (Dr. Mary Main) führte ich dazu mehrere Studien in unterschiedlichen Stichproben (u.a. gesunde und psychiatrische Stichprobe) mit multimethodalen Zugängen durch, um Abwehr und Bindung gruppenstatistisch und anhand von Einzelfällen im Zusammenhang zu verstehen.

 

Abwehr

Die empirische Erfassung von Abwehrmechanismen stellt Forscher vor die Herausforderung, unbewusste und oft projektive Prozesse (z.B. die Projektive Identifikation, Externalisierung, Spaltung etc.) messbar zu machen. Aufgrund vorherrschender methodischer Unzufriedenheit entwickelte ich den Fragebogen zur Erfassung Unbewusster Abwehrmechanismen (FEUA, Kampe, 2020), den ich in mehreren Stichproben mit unterschiedlichen Methoden validierte. Mein Ziel ist es, das klinisch hoch relevante und genuin psychoanalytische Konstrukt der Abwehr auch in der empirischen Forschung und in den gängigen diagnostischen Systemen zu stärken und in Studien mit einzubeziehen. In einer aktuellen Studie haben wir außerdem anhand des umfangreichen NESARC Datensatzes die Möglichkeit gehabt, eine erste Studie zu Prävalenzraten von maladaptiven Abwehrmechanismen durchzuführen, die zeigt, wie verbreitet die Verwendung von Spaltung, Projektion und Verleugnung in der Gesellschaft sind.

 

Narzissmus

Narzissmus als besondere Form der „Charakterabwehr“ (Kernberg) stellt sowohl Kliniker als auch Forscher vor große Herausforderungen: So ist pathologischer Narzissmus zwar einerseits hochgradig dysfunktional im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen und auch ein Risikofaktor für plötzliche Suizide, gleichzeitig stehen ausgeprägte narzisstische Züge auch im Zusammenhang mit mehr Lebenszufriedenheit und sozio-ökonomischem Erfolg. In der therapeutischen Beziehung kann Narzissmus oftmals über einen langen Zeitraum blenden und darunterliegende Probleme überdecken und einen vermeintlich gut laufenden Therapieprozess zur Stagnation bringen. In meinen Arbeiten zu Narzissmus beschäftige ich mich intensiv mit der Abwehrfunktion dieses Charakterzuges und mit den spezifischen darunterliegenden pathologischen Mechanismen.

 

Gegenübertragung und therapeutische Beziehung

In einem totalistischen Verständnis von Gegenübertragung wird immer auch die Persönlichkeit der/des Therapeuten/In einbezogen. Mich interessiert in meinen Studien, wie sich dieses Zusammenspiel aus PatientIn und TherapeutIn auf einen Therapieverlauf auswirkt und welche Variablen bedingen, dass sich Gegenübertragungen zum Guten (oder Schlechten!) im Laufe eines Therapieverlaufs verändern. In einer aktuell laufenden Studie messen wir daher zunächst Persönlichkeitsfaktoren von PatientInnen und TherapeutInnen sowie mehrmals im laufenden Therapieprozess die Veränderung der symptomatischen Belastung, des Persönlichkeitsfunktionsniveaus und der therapeutischen Gegenübertragung und wollen diese Bewegungen dann im Zusammenhang mit dem Therapie Outcome analysieren.

 

Verfahrensvergleich: Zur Veränderbarkeit des Persönlichkeitsfunktionsniveaus durch Langzeittherapien

Im Rahmen einer aktuell anlaufenden multizentrischen Therapie-Outcome-Studie mit längsschnittlichem Design wollen wir (Projektleitung gemeinsam mit Prof. Dr. S. Hörz-Sagstetter) untersuchen, ob sich das Persönlichkeitsfunktionsniveau eines Patienten neben der symptomatischen Verbesserung über den Verlauf einer ambulanten Langzeit- und einer tagesklinischen Kurzzeitpsychotherapie verbessern lässt. Dabei interessiert uns auch, ob es Unterschiede zwischen den Verfahren TP und VT gibt, wie sich die klinisch relevanten Schwellenwerte der Veränderung definieren, und ob sich das Strukturierte Klinische Interview zum Alternativen Modell der Persönlichkeitsstörungen des DSM-5 (SCID-5-AMPD-I) als veränderungssensitiv erweist. Zu diesem Zweck erfassen wir nicht nur punktuelle diagnostische Maße, sondern auch klinisch relevante Informationen zum Schweregrad eines Verlaufes, wie zB. die Behandlungslänge, die Krisen im Verlauf (Suizidalität, Selbstverletzung, Behandlungsabbrüche), die ICD-10 Diagnosen und die entstehenden Behandlungskosten über fünf Jahre.

 

Validierungsstudien und Implementierung neuer klinischer Interviews

Ich arbeite außerdem in den Validierungsstudien unterschiedlicher klinischer Instrumente mit. Neben der Validierung meines eigenen Fragebogens zur Abwehr (FEUA; Kampe, 2020) war ich maßgeblich an der Validierung der deutschen Version des Revidierten Strukturierten Interviews der Persönlichkeitsorganisation (Clarkin et al., 2016; Dt. Version Hörz-Sagstetter & Doering, 2019) und der dazugehörigen Narzissmus Skala beteiligt. Darüber hinaus entwickelte ich die Schulungen und Beispielvideos für die neuen SCID-Interviews des Alternativen Modells der Persönlichkeitsstörungen im DSM-5 und leite die Validierungsstudien (gemeinsam mit Prof. Dr. S. Hörz-Sagstetter).

 

Das Spiegelinterview

Die Persönlichkeitsforscherin im Kinder- und Jugendbereich Paulina Kernberg entwickelte kurz vor Ihrem Tod die Methodik des Spiegelinterviews als Technik, anhand der Selbstrepräsentation eines Menschen im Umgang mit seinem Spiegelbild Rückschlüsse auf internalisierte Objektrepräsentationen vornehmen zu können. In Zusammenarbeit mit der New School of Attachment in New York und der Co-Autorin des Mirror-Interviews plane ich, diese Technik auszuprobieren und empirisch zu validieren und ihren klinischen Mehrwert als experimentellen diagnostischen Zugang zu ermitteln.