Im Frühjahr 2025 lädt die krIPU herzlich dazu ein, einer Reihe an Vorträgen beizuwohnen, in denen Kritische Theorie und Psychoanalyse in unterschiedlichen Konstellationen in Verbindung gebracht werden.
Wie in den Vortragsreihen der vergangenen Semester, Gegen den Wahn und »das ganze Grauen« , wird es noch einmal darum gehen, den Hass auf Juden zu analysieren. Dazu drängt nicht nur die nicht abreißende Aktualität des Antisemitismus, sondern auch das Erkenntnisinteresse an Gesellschaft an und für sich: “So wahr es ist, daß man den Antisemitismus nur aus unserer Gesellschaft heraus verstehen kann, so wahr scheint mir auch zu werden, daß nun die Gesellschaft angemessen nur durch den Antisemitismus verstanden werden kann“ (Max Horkheimer an Harold Laski, 10. März 1941, zit. in Wiggershaus 1988: 347). Was Horkheimer 1941 noch im Werden begriff, sehen wir heute als fortgeschritten entwickelt an. Fragen nach den Ausformungen der Unvernunft in der Totalität sollen demnach in der Vortragsreihe adressiert werden, eben nicht zuletzt durch antisemitismustheoretische Überlegungen.
19.00 Uhr, IPU Berlin, Stromstr. 2, Hörsaal 2 (EG)
Vortrag & Diskussion mit Till Gathmann (Berlin)
— Die Tat des 7. Oktobers ist nicht von den Bildern zu trennen, die die Täter produziert haben. Über was geben diese Selbstzeugnisse Auskunft? Können die Bilder als antisemitische im Sinne einer ikonografischen Tradition verstanden werden? Oder sind sie lediglich Ausdruck einer allgemeinen technologischen Entwicklung der Bildproduktion? Im Versuch, diese Bilder des 7. Oktobers und ihr sehr unmittelbares Nachleben (Aby Warburg) zu verstehen, kollidieren die sehr grundsätzlichen Fragen, was ein Bild, was Antisemitismus sei. Beide Fragen sind nur spezifisch beantwortbar und wären am Material zu demonstrieren. Der Bildvortrag will sich dieser nicht einfachen, aber notwendigen Materialuntersuchung schlaglichtartig widmen.
“Ein Bild, jedes Bild, ist das Ergebnis von Bewegungen, die sich vorläufig darin sedimentieren und kristallisieren”, konstatiert der Kunsthistoriker George Didi-Huberman. Auf diese Weise aber zeigt sich im Bild zwischen Sublimierung und der Aktualisierung von Konflikten eine wesentliche Spannung, an der auch die technische Entwicklung Anteil hat. Traditionell neigt die Psychoanalyse, die auf die Herstellung von psychischem Raum bedacht ist, den Leistungen der Sublimierung zu. Im Antisemitismus aber, so die These, ist das Bild selbst konstitutiv für das Ausagieren, die (Bild)Raumzerstörung, die der Antisemitismus in der Tat vollzieht. Er wendet sich als Bildtechnik gegen die Sublimierung und ist ohne diese Funktionalisierung des Bilds nicht zu denken. Damit aber wirft das antisemitische Bild auch grundsätzliche Fragen der Triebtheorie auf.
Till Gathmann ist freischaffender Gestalter und Künstler und lebt und arbeitet in Berlin. Er promoviert im Feld der künstlerischen Forschung an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Zum Thema hat er einen Essay in der Zeitschrift sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik, Heft 24/2024 verfasst.
19.00 Uhr, IPU Berlin, Stromstr. 3b, Hörsaal 3 (3b-04)
Vortrag & Diskussion mit Andreas Wintersperger (Wien)
— Sowohl die Kritische Theorie der sogenannten “Frankfurter Schule” als auch der Psychoanalytiker Jacques Lacan stehen in kritischem Kontakt mit der globalen Protestbewegung der 1950er und 1960er Jahre, die sich selbst als “Neue Linke” bezeichnete. Beide reagieren ebenso auf Tendenzen innerhalb der psychoanalytischen Denktradition jener Zeit, welche eng mit den politischen, kulturellen und sozialen Auswirkungen der “Neuen Linken” verwoben waren. Trotz dieser oberflächlich gegebenen Ähnlichkeiten könnten die zugrunde liegenden Prämissen ihrer jeweiligen Kritik an den Möglichkeiten und Zustände von Subjektivität und gesellschaftlicher Emanzipation nicht unterschiedlicher sein. Wo Lacan die defizitäre Pathologie des menschlichen Seelenlebens sprachlogisch ontologisiert, wird sie für die Kritische Theorie zum Symptom der Krise einer spezifisch historischen Organisationsform der Gesellschaft. Angesichts der aktuellen Prävalenz des Denkens Jacques Lacans auch für linke Theoriebildung sowie dem kürzlich begangenen und durchaus zweifelhaften Jubiläum “100 Jahre Kritische Theorie”, bildet eine Gegenüberstellung beider intellektuellen Projekte immer noch eine Leerstelle im psychoanalytisch sowie gesellschaftskritisch informierten Diskurs.
Andreas Wintersperger lebt und arbeitet in Wien. Er absolvierte das Masterstudium der Philosophie an der Universität Wien und schreibt zurzeit an seiner Dissertation über Theodor Adornos Ästhetische Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Er ist aktuell Kandidat im psychoanalytischen Fachspezifikum am Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse.
19.30 Uhr, IPU Berlin, Stromstr. 3b, Hörsaal 3 (3b-04)
Vortrag & Diskussion mit Wolfgang Hegener (Berlin)
— Nach einer nun schon Jahrzehnte andauernden Beschäftigung mit dem Antisemitismus hat sich für mich immer deutlicher herausgestellt, dass es in der Fülle der Literatur zum Thema vor allem die Arbeiten dreier Autoren sind, denen ich Wesentliches für ein vertieftes psychoanalytisches Verständnis dieser wohl schlimmsten und ältesten Kultupathologie überhaupt zu verdanken habe: Gemeint sind die Analysen von Sigmund Freud, Ernst Simmel und Herbert Rosenfeld. Sie sind unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus und seiner Nachwirkungen sowie der damit verbundenen persönlichen Erfahrungen von Verfolgung und Vertreibung entstanden. Veröffentlicht wurden die entsprechenden Arbeiten in den 1930er, den 1940er und den 1980er Jahren und bilden in dieser Abfolge auch den Fortschritt in der psychoanalytischen Theorie- und Praxisentwicklung ab. Diese drei Ansätze sollen im Vortrag in Grundzügen vorgestellt werden, und zugleich werde ich in exemplarischen Analysen zu zeigen versuchen, wie produktiv sich mit ihnen (weiter-)arbeiten lässt. Gerade darin liegt, wie ich behaupten möchte, ihre überdauernde und anhaltend-aktuelle Bedeutung.
Priv.-Doz. Dr. Dr. Wolfgang Hegener, niedergelassen als Psychoanalytiker und Ausbildungsanalytiker (DPG/IPV/DGPT) in Berlin. Hochschullehrer für Kulturwissenschaft an der HU zu Berlin. Promotion in Psychologie und Jüdischer Theologie, Habilitation im Fach Kulturwissenschaft. Mit-Herausgeber des “Jahrbuchs der Psychoanalyse”. Interessenschwerpunkte: Jüdische Wurzeln der Psychoanalyse; Psychoanalyse des Antisemitismus; zum Verhältnis von Psychoanalyse und Philosophie. Zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen. Letzte Buchpublikationen: Heilige Texte. Psychoanalyse und talmudisches Judentum (Psychosozial-Verlag, 2017); Schuld-Abwehr. Psychoanalytische und kulturwissenschaftliche Studien zum Antisemitismus (Psychosozial-Verlag, 2019); Im Anfang war die Schrift. Sigmund Freud und die Jüdische Bibel (Psychosozial-Verlag, 2023); zusammen mit Karin Zienert-Eilts (Hrsg.) Herbert Rosenfeld – Then and Now. The Significance of His Work for Contemporary Psychoanalysis (Phoenix, 2024).
19.30 Uhr, IPU Berlin, Stromstr. 2, Hörsaal 1 (3. OG)
Vortrag & Diskussion Christian Obermüller (Berlin)
— Antisemitismus sei eine “Grundkonstante der Zivilisation”, sagte der Psychoanalytiker Kurt Grünberg kürzlich bei einer Konferenz in Frankfurt/Main, bei der es um Antisemitismusforschung nach dem 7. Oktober ging. Mit Freud ließe sich anfügen: im Antisemitismus artikuliert sich in radikaler Weise all das, was als komplexe Dynamik menschliche Kultur zugleich antreibt als auch unterhöhlt. Die Triebkraft dieser Dynamik entspringt einem wesentlich negativen Moment, das Freud ins Innerste der Ursprünge von Menschheit, Kultur und Subjekt einträgt, das als Leere, als Verdrängtes, als Unerreichbares die Gattungsgeschichte durchgeistert und der Menschheit eine Hypothek aufgibt, an der sie bis heute laboriert. Der Antisemitismus ist der ultimative Versuch, dieses schwere Erbe, das der unablässige Prozess der Zivilisierung selbst ist, ein für allemal loszuwerden.
Der Vortrag wird Freuds Darstellung der Ursprünge von Menschheit, Kultur und Subjekt folgen, um sich einem Verständnis der Triebdynamik des/im Antisemitismus anzunähern. Im Rückgriff auf Klaus Heinrich und andere wird es dabei auch darum gehen, die Freudschen Ursprungskonzeptionen und deren produktives Potential selbst zu ermessen. Nicht zuletzt sollen schließlich gegenwärtige Äußerungen des Antisemitismus im Kontext des 7. Oktobers betrachtet werden, in denen sich in so eindringlicher Weise der reaktiv-abwehrende, antizivilisatorische Charakter des Antisemitismus zeigt.
Christian Obermüller beendete Anfang des Jahres sein Studium an der IPU Berlin. Aktuell ist er als Fachreferent bei RIAS Berlin tätig, ab Januar 2025 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsextremismusforschung der Univertsität Tübingen. Er ist außerdem Teil der Gruppe spot the silence, die an der Schnittstelle von Kunst und politischer Bildung zu unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Themen arbeitet.
Die krIPU ist eine studentische Initiative an der IPU Berlin, die sich regelmäßig trifft und Veranstaltungen organisiert, um die Möglichkeiten und Grenzen einer gesellschaftskritischen und politischen Psychoanalyse, ihre überschaubare Geschichte und ihre ungewisse Zukunft zu diskutieren. Interessierte sind eingeladen, sich in Verbindung zu setzen (kripu).
Gefördert durch den StuRa.
Auf demYouTube-Kanal der IPU Berlin können Sie sich Mitschnitte der vorangegangen Vortragsreihen ansehen.