Das Symposium widmet sich der Auseinandersetzung mit subjektiven Erfahrungen von Gewalt in kollektiven Verhältnissen, um deren vielfältige Dimensionen zu erfassen und kritisch zu reflektieren. Im Mittelpunkt stehen sowohl unterschiedliche Definitionen und Erscheinungsformen von Gewalt als auch deren weitreichende Auswirkungen – insbesondere im Hinblick auf Erfahrungen, Erinnerungen und deren intergenerationale Weitergabe.
Ein besonderer Fokus liegt darauf, wie Gewalt in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten artikuliert, anerkannt und verarbeitet wird. Dabei wird ein Augenmerk auf Rassismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit sowie geschlechtliche (und sexuelle) Aspekte von Gewalt gelegt – denn all diese Formen haben sowohl eine individuelle wie auch kollektive und somit gesellschaftliche Ebene, die es zu betrachten gilt. Divergenzen und Kontinuitäten finden Beachtung ebenso wie explizite und implizite Formen und Wirkweisen von Gewalt.
Die Auseinandersetzung mit der öffentlichen Wahrnehmung rassistischer Gewalt bildet dabei einen zentralen Strang des Symposiums. Häufig ist es allein dem Einsatz von Angehörigen und Aktivist:innen zu verdanken, dass rassistische Gewalt als solche anerkannt wird. Die Anerkennung bleibt jedoch umkämpft – viele Taten werden bis heute nicht als rassistisch benannt. Gilda Sahebi, die als Rednerin am Symposium teilnehmen wird, beschreibt eindrücklich die zerstörerische Wirkung rassistischer Gewalt: “Jede Gewalttat, ob emotional oder körperlich, hinterlässt Traumata und Wunden”. Diese Wunden reichen über den Moment der Tat hinaus und prägen Betroffene, ihre Familien und soziale Kontexte langfristig.
Diese Perspektiven und weitere werden im Rahmen des Symposiums Platz finden. Es werden Ansätze aus den Bereichen der Psychoanalyse, Soziologie und Kulturwissenschaft interdisziplinär miteinander verwoben und somit Raum für Austausch geschaffen, welcher ein Verständnis für die komplexen Verflechtungen zwischen subjektiven Erfahrungen, gesellschaftlichen Deutungsmustern und Prozessen der Anerkennung aus unterschiedlichen Blickwinkeln fördern soll.
Wir haben das Ziel innerhalb dieses Symposiums Fragen zu klären und genauso neue Fragen aufzuwerfen, gemeinsam nachzudenken und zu verstehen. Wir wollen dafür einen Raum schaffen, in dem das Denken und das Fühlen sich nicht ausschließen, in dem Platz ist für eigene Affekte und für das Ringen um die Fähigkeit zum Denken, die angesichts überwältigender Gewalt stets verloren zu gehen droht. Wir freuen uns auf Sie und Euch als Gäst:innen und bitten um eine vorherige Anmeldung auf der Veranstaltungsseite der IPU.
Hörsaal 4, Alt-Moabit 91b, 10557 Berlin
09:30 Uhr:Einlass
10:00 Eröffnung des Symposiums
10:15-11:45: Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Jürgen Straub “Differenzierungen der Gewalt: begriffliche, theoretische und empirische Perspektiven”
12:00-13:30: Vortrag von Prof. Dr. Benigna Gerisch: “Der Mord am inneren Objekt: Tötungs- und Selbsttötungsfantasien in der Psychodynamik suizidaler Akteure”
13:30-14:30: Mittagspause
14:30-16:00 Vortrag von Ulrike Auge: “»Fragile Cisgeschlechtlichkeit« und die Abwehr ontologischer Unsicherheit: Zur symbolischen Gewalt der Abjektion gegen trans*Subjektivität”
16:00-16:30 Kaffeepause
16:30-18:00: Vortrag von Kira Rudolph & Doreen Zeymer-von Metnitz: “Antisemitisch-sexuelle Gewalt am 7. Oktober 2023 - Kontinuitäten der verwehrten Anerkennung”
18:00-18:30: Pause
18:30-19:30: Vortrag & Diskussion von Gilda Sahebi: „Sticks and stones: Die Verharmlosung emotionaler Gewalt“
anschließend Sektempfang
Hörsaal 4, Alt-Moabit 91b, 10557 Berlin
09:30: Einlass
10:00-11:00: Vortrag von Jonas Rudolph: “Männlichkeit und Dominanz: Ein narratives Mosaik männlicher Gewalt”
11:15-12:15 Uhr: Vortrag von Charlie Kaufhold: “Zur Gewalt des „Nationalsozialistischen Untergrunds“: Eine tiefenhermeneutische Perspektive auf die Dominanzgesellschaft im NSU-Komplex”
12:15-12:45: Kaffeepause
12:45-14:15 Abschlussdiskussion: Dr. Yuriy Nesterko & Phil Langer
Prof. Dr. phil. Jürgen Straub ist seit April 2008 Inhaber des Lehrstuhls für "Sozialtheorie und Sozialpsychologie”. Jürgen Straub ist Co-Direktor des 2014 gegründeten Hans Kilian und Lotte Köhler Centrums (KKC) für sozial- und kulturwissenschaftliche Psychologie und historische Anthropologie. Von 2010 bis 2018 war er Mitglied des Kuratoriums und der Jury des Hans Kilian-Preises. Im Rahmen zahlreicher aktueller KKC-Projekte erfüllt er diverse Funktionen, unter anderem ist er Sprecher des mit der Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin ausgerichteten Graduiertenkollegs Traumata und kollektive Gewalt: Artikulation, Aushandlung und Anerkennung.
“Differenzierungen der Gewalt: begriffliche, theoretische und empirische Perspektiven”
Im Vortrag wird dargelegt, dass es prinzipielle Schwierigkeiten der exakten Metrisierbarkeit und empirisch-quantitativen Feststellbarkeit von zugefügter und erlittener Gewalt nahelegen, den Fokus stärker auf Verdichtungen, Verschiebungen und den Wandel der Formen von Gewalt sowie die begriffliche Unterscheidung, dichte Beschreibung und verstehende Erklärung verschiedener Typen von Gewalt zu legen. Als unabdingbar sollte die Differenzierung zwischen physischer, psychischer und symbolischer Gewalt gelten, ebenso die Unterscheidung zwischen intentionalen Gewalthandlungen, nicht intendierten Nebeneffekten (unabsichtlich gewaltsamen oder gewalttätigen) Handelns und struktureller Gewalt. Außerdem ist es ratsam, sich in der inter- und transdisziplinären Gewaltforschung künftig noch stärker mit individuellen und kollektiven Wahrnehmungssensibilitäten, der öffentlichen Artikulation und politischen Anerkennung erlittener Gewalt sowie den Leiden der getroffenen und geschädigten Personen zu befassen. Letzteres sollte auch in einer theoretischen Perspektive geschehen, die historische und aktuelle Verletzungsverhältnisse zu untersuchen gestattet.
Prof. Dr. Benigna Gerisch, Psychoanalytikerin (DPV/IPA, DGPT), Professorin für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse an der International Psychoanalytic University/Berlin.
“Der Mord am inneren Objekt: Tötungs- und Selbsttötungsfantasien in der Psychodynamik suizidaler Akteure”
In diesem Vortrag wird herausgearbeitet, dass die psychoanalytisch orientierte Suizidologie, an Freuds Arbeit „Trauer und Melancholie“ anknüpfend, nicht nur den komplexen Zusammenhang von Auslöser und unbewusste Konfliktthematik des Suizidalen differenziert, sondern mittels der genuin psychoanalytischen Technik der Übertragungs- und Gegenübertragungsanalyse die Tiefendimension der bewussten und unbewussten Fantasien der suizidalen Dynamik auszuloten vermag. Auf diese Weise lässt sich der rasante Wechsel von Tötungs- und Selbsttötungsfantasien plastisch untersuchen, der pointiert in Freuds Suizid-Formel vom Mord am inneren Objekt zum Ausdruck kommt. Ferner wird der Aspekt der Sprachlosigkeit suizidaler Selbstzerstörungspassionen dargestellt und die eklatante Bedeutung des ‚suizidalen’ Körpers als Leibbühne konflikthafter Objektbeziehungsszenarien. Eine Falldarstellung, anhand derer die Dialektik von Selbstvervollkommnung und Selbstzerstörung exemplifiziert wird, rundet den Beitrag ab.
Ulrike Auge (M.A. Psychologie., M.A. Sozial- und Kulturanthropologie) ist aktuell Research Fellow an der International Psychoanalytic University Berlin und schreibt Ihre Dissertation zu dem Thema »fragile Cisgeschlechtlichkeit und Transfeindlichkeit«. Sie ist in der Ausbildung zur tiefenpsychologisch-fundierter und analytischer Psychotherapie.
“»Fragile Cisgeschlechtlichkeit« und die Abwehr ontologischer Unsicherheit: Zur symbolischen Gewalt der Abjektion gegen trans*Subjektivität”
Der Beitrag untersucht Transfeindlichkeit als affektive Abwehrreaktion auf die Irritation »cis-normativer Geschlechtsidentität«.
Im Fokus steht, wie »fragile Cisgeschlechtlichkeit« in der Abwehr ontologischer Unsicherheit Formen symbolischer und struktureller Gewalt gegen trans*Subjektivitäten hervorbringt. Am Beispiel von Interviewmaterial soll der Gewaltförmigkeit gegen trans*Subjektivität durch den Mechanismus der Abjektion nachgegangen werden.
Kira Rudolph schloss sowohl ihren B.A. in Sozialwissenschaften als auch ihren M.A. im Studienprogramm „Kultur und Person“ mit Auszeichnung an der Ruhr-Universität Bochum ab. Im Hans-Kilian-Studierendenkolleg organisierte sie in Zusammenarbeit mit ihren Mitstipendiat*innen Veranstaltungen zu den beiden Themenschwerpunkten Verschwörungstheorien und kollektive Gewalt. Seit 2022 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für „Sozialtheorie und Sozialpsychologie“ tätig. Sie promoviert im IPU-KKC Graduiertenkolleg zu dem Thema “Sexuelle und sexualisierte Gewalt gegen weibliche Häftlinge in NS-Konzentrationslagern. Eine Untersuchung psychosozialer Spätfolgen vor dem Hintergrund anhaltender Stigmatisierungen und versagter Anerkennung”.
“Antisemitisch-sexuelle Gewalt am 7. Oktober 2023 - Kontinuitäten der verwehrten Anerkennung”
Beim Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel zeigte sich eine perfide Verschränkung von sexueller und antisemitischer Gewalt – doch ihre Anerkennung bleibt bis heute in weiten Teilen aus. Es zeigt sich ein Muster des Schweigens und Relativierens, das sich historisch bis zur Shoah zurückverfolgen lässt. Der Vortrag beleuchtet diese Kontinuitäten der Verdrängung und stellt die Frage nach der gesellschaftlichen und politischen Verantwortung.
Doreen Zeymer - von Metnitz (M.A. Psychologie, M.A. Interdisziplinäre Antisemitismusforschung) ist Doktorandin im IPU-KKC Graduiertenkolleg an der Internationalen Psychoanalytischen Universität. Ihre Dissertation beschäftigt sich mit den Folgen des 07. Oktober 2023 in Deutschland. Sie befindet sich derzeit in der Ausbildung zur Psychoanalytikerin und tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapeutin.
“Antisemitisch-sexuelle Gewalt am 7. Oktober 2023 - Kontinuitäten der verwehrten Anerkennung”
Beim Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel zeigte sich eine perfide Verschränkung von sexueller und antisemitischer Gewalt – doch ihre Anerkennung bleibt bis heute in weiten Teilen aus. Es zeigt sich ein Muster des Schweigens und Relativierens, das sich historisch bis zur Shoah zurückverfolgen lässt. Der Vortrag beleuchtet diese Kontinuitäten der Verdrängung und stellt die Frage nach der gesellschaftlichen und politischen Verantwortung.
Gilda Sahebi:
Gilda Sahebi ist ausgebildete Ärztin und studierte Politikwissenschaftlerin. Ihr journalistisches Volontariat absolvierte sie beim Bayerischen Rundfunk, als freie Journalistin arbeitet sie mit den Schwerpunkten Antisemitismus und Rassismus, Innenpolitik, Naher Osten und Wissenschaft. Sie ist Autorin für die »taz« und den »Spiegel« und arbeitet unter anderem für die ARD. Ihre Bücher „»Unser Schwert ist Liebe« Die feministische Revolte im Iran“ und „Wie wir uns Rassismus beibringen. Eine Analyse deutscher Debatten“ erschienen 2023 und 2024 beim S. Fischer Verlag.
Sticks and stones: Die Verharmlosung emotionaler Gewalt
“Sticks and stones may break my bones but words will never hurt me” – eine berühmte Liedzeile, die Kindern beigebracht wird; sie soll Resilienz vorgeben. Dabei beginnt schon in diesem einfachen Satz die Relativierung von emotionalem Schmerz. Nicht nur kann emotionale Gewalt jahrzehntelange, sogar generationenübergreifende Traumata mit sich bringen. Es ist auch deren Verharmlosung, die diesen Schmerz in Seele und Körper eines Menschen verankert. Dieses oft unbewusste Wissen tragen Angehörige und Überlebende von rassistischen Attentaten genauso in sich wie Opfer von emotionalem und sexualisiertem Missbrauch. Aber eine Gesellschaft, die vor Schmerz davon läuft, wird diesen stets nur größer machen. Ein Vortrag über die Bedeutung einer Anerkennung und Wertschätzung von Schmerz.
Jonas Rudolph hat Soziale Arbeit (B.A.) an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und Psychologie (M.A.) an der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin studiert. Er promoviert an der IPU Berlin im Feld der psychoanalytischen Sozialpsychologie zur Frage, wie Männer von Gefühlen erzählen und wie (dabei) Geschlecht und Lebensgeschichte konstruiert werden.
“Männlichkeit und Dominanz: Ein narratives Mosaik männlicher Gewalt”
Im Vortrag soll anhand von Zitaten aus biographischen Interviews mit Männern ein narratives Mosaik gezeichnet werden. Narrative Konstruktionen verschiedener Männlichkeiten sollen so vor dem Hintergrund eines weiten Gewaltbegriffs bezüglich ihrer Herstellung von Dominanz bebildert und zum Zusammenspiel von Männlichkeit und Gewalt befragt werden.
Charlie Kaufhold ist Wissenschaftliche Mitarbeiter_in im Forschungsprojekt „Reflexionen von Geschlecht in der psychotherapeutischen Praxis“ an der International Psychoanalytic University Berlin (IPU). Zuvor hat Charlie Kaufhold mit einer tiefenhermeneutischen Studie zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen promoviert. Charlie Kaufhold ist Mitglied im Forschungsnetzwerk „Abwehr, Aneignung, Widerstand. Bedingungen und Bewältigungsmodi der Klimakrise“ an der IPU und hat Lehraufträge an der Sigmund Freud Privat Universität Berlin und der Frankfurt University of Applied Sciences.
“Zur Gewalt des „Nationalsozialistischen Untergrunds“: Eine tiefenhermeneutische Perspektive auf die Dominanzgesellschaft im NSU-Komplex”
2011 wurde öffentlich bekannt, dass Neonazis unter dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ mindestens zehn Menschen ermordet hatten, neun davon aus rassistischen Gründen. Die Neonazis hatten dutzende weitere Menschen teils schwer verletzt – etwa bei drei Bombenanschlägen auf migrantische Communities und 15 Raubüberfällen. Inzwischen hat sich in der aktivistischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung der Begriff NSU-Komplex durchgesetzt. Damit ist der institutionalisierte Rassismus gemeint: Der NSU konnte auch deswegen mehr als 13 Jahre Gewalt ausüben, weil die zuständigen staatlichen Behörden ihm nichts entgegensetzten und auch etwa die Medien keine korrigierende Funktion ausübten.
Im Vortrag geht es nun darum, wie dieser NSU-Komplex in den Teilen der Gesellschaft wahrgenommen wird, der nicht von Rassismus und/oder Antisemitismus betroffen ist: der Dominanzgesellschaft. Die Ergebnisse basieren auf einer qualitativen Studie, für die Gruppendiskussionen mit soziodemografisch heterogenen (Real-)Gruppen erhoben und diese mit der psychoanalytisch orientierten Methode Tiefenhermeneutik ausgewertet wurden. Ein zentrales Ergebnis ist, dass der NSU-Komplex als Vergegenwärtigung des (historischen) Nationalsozialismus erlebt wird und dadurch Konflikte um die eigene Identität als Deutsche (re-)aktiviert werden. Relevant werden hierbei Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf psychosozialer Ebene und das, was der Psychoanalytiker M. Fakhry Davids als innere rassistische Organisation bezeichnet.
Dr. Yuriy Nesterko ist Psychologe und forscht an der Universität Leipzig zu den psychischen Belastungen von Geflüchteten. Ebenfalls ist er Co-Leiter der Forschungsabteilung am Zentrum ÜBERLEBEN Berlin.
Abstract folgt.
Prof. Dr. Phil C. Langer ist Professor für psychoanalytische Sozialpsychologie und Sozialpsychiatrie an der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) Berlin.
Abstract folgt.
Die Veranstaltung wird von Anna Schmidtke, Paul R. Schreiber und Doreen Zeymer - von Metnitz organisiert in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Phil Langer. Gefördert wird die Veranstaltung von der IPU Berlin.