Psychoanalytische Studierendenperspektiven Teil 4

Virologen erklären uns, wie wir Neuansteckungen mit COVID-19 verhindern, die Bundesregierung beschließt Maßnahmen zum „Social Distancing“ und wir alle sollen nach Möglichkeit zu Hause bleiben. Doch was macht das mit uns? In dieser Reihe kommen IPU-Studierende zu Wort, die ihr Erleben der Corona-Zeit zur Sprache bringen.

Von der Sorge für das eigene Selbst

von Andrea Bill-Wolff

Die Corona-Pandemie war in den ersten Tagen und Wochen bei mir vor allem von einem Genießen der erzwungenen Entschleunigung des Alltags geprägt. Nirgendwohin zu müssen, keine unnötigen Erledigungen oder Besorgungen zu machen, dafür viel Zeit für Projekte zu haben, die schon lange auf ihre Erfüllung und Vollendung warteten und nicht zuletzt viel Zeit für Sport und Spaziergänge, Zeit mit der Familie, für Gespräche, gemeinsame Mahlzeiten, Spiele- und Filmabende. Es fühlte sich ein bisschen paradiesisch an, quasi so aus der Zeit geworfen zu sein und ganz aufeinander bezogen zu sein. Im Alltag ohne Corona geht jeder von uns vieren seiner Wege, mein Mann ist beruflich viel unterwegs, das große Kind wäre nach dem Abitur in diesem Jahr zu einem Auslandsaufenthalt und Studium aufgebrochen, und das zweite Kind im Teenageralter kommt nur selten aus seinem Zimmer und hinter seinem Computer hervor. Es war für ein paar Wochen ein glückseliger Zustand, doch Paradiese scheinen nicht für die Ewigkeit gemacht zu sein. Schon Evas Pflücken der verbotenen Frucht führte zur Vertreibung aus dem Garten Eden, zu groß war die Verlockung, der Reiz des Verbotenen. Jedem Paradies inhärent sind demgemäß ebenfalls die Mittel zu dessen Zerstörung. Vielleicht wird der Menschen des Guten auch nur schnell überdrüssig und wir brauchen das Schlechte eben genauso sehr, weswegen wir die Augen davor nicht verschließen?

Trotz anfänglicher Zuversicht, die Pandemie in kurzer Zeit gut und unbeschadet überstehen zu können, war die verbotene Frucht nun, ein als suchtartiges Verhalten zu beschreibendes Konsumieren jeglicher Corona-Nachricht, ob Fallzahlen, Ansteckungsraten, wirtschaftliche und soziale Folgen, das zu einer wachsenden Unruhe und depressiv-ängstlich getönter Stimmung bei mir führte. Die nun – durch die Devise „stay home“ – als erzwungene und plötzlich als zu viel empfundene Nähe führte zu Gereiztheit und der Erkenntnis, dass auch in der Entfernung Nähe liegen kann, gemäß des von meiner Tante als Kind gelernten Satzes „Die Liebe wächst im Quadrat zur Entfernung“. Tägliche Telefonate mit meinen über 80-jährigen Familienangehörigen, deren Angst vor dem möglicherweise durch Corona nahenden Tode, deren Unsicherheit, wie sie sich denn nun richtig verhalten sollten und vor allem mit deren Einsamkeit, die aus jedem Wort und jedem Satze sprach, beschwerten meine zuvor so positiv-optimistische Stimmung zusätzlich. Ich fühlte mich einerseits verantwortlich und andererseits entsetzlich hilflos. Aus dem Paradies in den Abgrund gestürzt, verspürte ich tiefe Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, ein recht jäh vollzogener Wandel, der ein neuerliches Besinnen, ein Reflektieren notwendig machte. Was kann ich tun? Was ist mir wichtig? Was brauche ich?

Selbstfürsorge wird oft als Egoismus missverstanden und wird manchmal als probate Entschuldigung für Konsum benutzt. Doch was könnte wichtiger sein als die echte Sorge für das eigene Selbst? Dafür braucht es keine teuren Gegenstände, keine Urlaube und ebenso wenig Partys, nicht immer, nicht jetzt und keineswegs unbedingt. Sich um sich selbst zu sorgen hat auch viel mit Besinnung auf sich selbst zu tun. Ein erster Schritt ist sicher, die äußeren Umstände als gegeben zu akzeptieren: eben kein Urlaub bis wer weiß wann. Im Aufgeben des derzeit Unmöglichen liegt ein Stück der eigenen Freiheit. Anstatt sich rebellisch innerlich gegen das zu wehren, was ist, die Gedanken auf das zu richten, was geht. Das mag angepasst, ja fatalistisch klingen, doch es gab mir den inneren Raum, endlich darüber nachzudenken, was ich ändern könnte, um mich unter den gegebenen Corona-Umständen besser zu fühlen.

Für mich persönlich bedeutete das vor allem, wieder Raum – im Sinne eines Zimmers mit Tür – und Zeit für mich alleine zu haben; mich sinnstiftenden und anregenden Tätigkeiten, wie meinem Studium an der IPU zu widmen; mich der Nachrichtenflut durch bewussten Medienkonsum zu entziehen und nicht ausschließlich nur Gespräche rund um die Corona-Thematik zu führen und den Takt meiner täglichen Telefonate mit meinen alten Verwandten auf alle zwei Tage zu reduzieren, um mir selbst Zeit für die Verarbeitung unserer Gespräche zu gewähren und beim nächsten Telefonat wieder gut zuhören und empathisch reagieren zu können.

So ist meine lesson learned aus der Corona-Krise, dass es wichtig ist, die eigene Balance zu wahren und dass Selbstfürsorge ein Akt der Selbst- wie der Nächstenliebe ist, der gerade in angespannten Situationen essenziell ist und zu mehr Harmonie miteinander beiträgt. Nur wer für sich selbst sorgt, kann auch (gut) für andere sorgen.

Von schweigenden Studierenden und stillen Universitäten

von Nicola Benz

Als ich den Begriff der Diskursanalyse zum ersten Mal hörte, verstand ich dessen Bedeutung nicht wirklich. Foucault zu lesen stiftete leider noch mehr Verwirrung. Je länger man sich jedoch mit Begriffen auseinandersetzt, sich in ihrem Dunstkreis bewegt, desto (selbst-)verständlicher werden sie. Daraus lernte ich, dass man sich immer die ganz basale Frage stellen kann und sollte: Wer spricht für wen, warum und wo?

Zentrale Inhalte erfassen, geschweige denn eigenständig interpretieren, ist aufgrund des rasanten Tempos und der klebrigen Omnipräsenz der Corona-Thematik besonders schwierig. Da ich mich nicht befähigt sehe den derzeitigen Diskurs zu analysieren, geschweige denn Muße dazu hätte, mache ich es mir einfach und frage nach dem „nicht“. Wer spricht nicht? Da fällt es leicht eine Gruppe zu finden. Es ist nämlich die, zu der ich gehöre – die Studierenden. Wir finden in keiner Weise statt.

Pflegeberufe fordern mehr Lohn und mehr Personal. Kitas müssen geöffnet werden! Und Kirchen? Welche Rolle spielt das gemeinsame Gebet? Welch grandiose Arbeit übernehmen unsere Lehrer_innen! Kinder müssen doch wieder in die Schule – aber ab welchem Alter? Ab der Oberstufe? Soll das Abitur abgelegt werden? Welche Nachteile ergäben sich, wenn der diesjährige Jahrgang ohne Abiturprüfung ins Leben will? Dies sind aktuelle Diskussion, die mir einfallen.

Nun geht es nicht darum diese Gruppen verstummen zu lassen, ihnen den Platz streitig zu machen oder gar ihre Inhalte anzuzweifeln. Vielmehr ist es doch interessant, die Entwicklung der Diskussionen festzustellen. Zudem scheint deren mediale Repräsentanz gesichert. Wie viele Menschen, Politiker_innen, Zeitungsartikel, Talkmaster sich mit und über diese Personen bzw. Metiers äußern. Aufgrund des Fortschritts, den diese Diskussionen schon erreicht haben, wird es mir bange, wenn ich auf unsereins schaue. Keine Lobby, keine Studierendenvertreter_innen, keine Direktor_innen in der Öffentlichkeit zu sehen. Oder hat sich die Bildungsministerin für Studierende und Universitäten vor einer laufenden Kamera eingesetzt?

Im Vergleich zu anderen Gruppen hinken die Studierenden nicht hinterher. Nein, sie haben noch nicht mal begonnen zu laufen. Natürlich muss die Frage nach der „Systemrelevanz“ (übrigens ein ganz heißer Anwärter auf das Unwort des Jahres 2020) im engsten Sinne bei Universitäten verneint werden. Aber die muss für Autohäuser, Theater, Restaurants, Kitas, Einzelhandel, Opern, Schulen, ja, auch für den Onlineversandhändler Amazon genauso verneint werden. Und doch findet zu eben genannten eine breite Diskussion statt. Wenn wir keinen Platz in Diskussionen finden, was ist dann unser Platz in der Gesellschaft?

Die Frage, welche Rolle wir in der Gesellschaft übernehmen, muss an anderer Stelle thematisch weiter ausgeführt werden. Dieser Text besinnt sich, wie angekündigt, auf das Basale und fragt schlichtweg: Warum sprechen wir nicht?

Die COVID-19-Pandemie betrifft uns alle, aber nicht jeden Menschen gleich. Die Studierenden der IPU sind im Sommersemester 2020 auf digitale Lehrformate angewiesen, sie erleben die Krisenzeit möglicherweise gar nicht in Berlin und sammeln dadurch ganz unterschiedliche Erfahrungen. Ihre Gedanken bekommen hier ein Forum und legen den Fokus darauf, was mit den Menschen passiert, was in ihnen vorgeht, wie sie fühlen in einer Zeit, die Unsicherheit, aber auch Besinnung bedeuten kann.