Virologen erklären uns, wie wir Neuansteckungen mit COVID-19 verhindern, die Bundesregierung beschließt Maßnahmen zum „Social Distancing“ und wir alle sollen nach Möglichkeit zu Hause bleiben. Doch was macht das mit uns? In dieser Reihe kommen IPU-Studierende zu Wort, die ihr Erleben der Corona-Zeit zur Sprache bringen.

Ist die gesellschaftliche und politische Reaktion auf die Krise vergleichbar mit den Reaktionen auf Terrorismus? Und wenn dem so ist, wo liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede und welche unbewussten Mechanismen werden wirksam?
Sowohl Virus als auch Terrorismus führen zu einem Gefühl des Kontrollverlustes. Wir wissen nie, wann und wo es uns treffen könnte. Im Fall von Krankheiten sind wir dabei unmittelbar mit Prozessen konfrontiert, die sich weitestgehend unserer Kontrolle entziehen. Aber auch Terrorismus wird gesellschaftlich oft verhandelt wie eine Naturgewalt. Vielleicht, weil wir durch diese Gewalt mit den Abgründen der menschlichen Psyche konfrontiert werden. Und diese uns ebenso fremd, geheimnisvoll und unkontrollierbar erscheint. Zwar entsteht auch Terrorismus nicht im luftleeren Raum, oder ist alleinig das Produkt einer ‚gestörten‘ Psyche. Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse in denen Terror entsteht, sind uns längst zur zweiten Natur geworden. Wir können die Wirkzusammenhänge, sowohl bei dieser Pandemie als auch bei komplexen gesellschaftlichen Prozessen, schwer nachvollziehen.
Dementsprechend ist die (kollektive) psychische Reaktion, im Ausnahmezustand der Verbreitung des Virus und in Bezug auf Terrorismus: Angst. Die Antwort ist in beiden Fällen ähnlich: Verstärkte Kontrolle, Absicherung, aber auch die Forderung nach einer harten Hand und Einschränkung von Grundrechten sind die Folge. Dies, um wieder ein Gefühl von Sicherheit herzustellen. So sind viele Entscheidungen eher eine irrationale Antwort auf unsere Ohnmacht. Das führt zu einer Rationalisierung – und die Gründe für die Misere werden projektiv im Außen verortet. Wenn die Situation so unaushaltbar undurchsichtig ist, versucht man eben gewalttätig, wie mit einer Machete einen Pfad der Kausalitäten durch das Dickicht der Wahrscheinlichkeiten zu schlagen.
Als die Pandemie von SARS-CoV-2 auf bundesdeutschem Gebiet noch nicht weitläufig um sich gegriffen hatte, scherzte ich mit einer Arbeitskollegin am Theater über sinkende Besucherzahlen, obwohl sich anderorts schon drastische Szenarien abspielten. Im selben Gespräch reichte ich dieser Kollegin die Hand, obwohl mir die Förmlichkeit eines Handschlags sonst Unbehagen bereitet. Im Anschluss an diese Interaktion eilte ich auf die Toilette, um mir dort die Hände zu waschen.
Das Scherzen über die sinkenden Besucherzahlen, die wir bereits der bevorstehenden Krise zuschoben, erschien mir im Nachhinein als Abwehr gegen die gleichzeitig schon spürbare Angst vor den drohenden Veränderungen. Das demonstrative Händeschütteln deutete ich gleichwohl als Reaktionsbildung gegen die gefürchteten Maßnahmen zur sozialen Isolation. Dazu passend umarmte ich wenige Tage später einen Bekannten, der mir die Hand reichte, überschwänglich und fasste mir im selben Moment in Gedanken an die Stirn, da ich den Bekannten bereits aus der Ferne gesehen und mir vorgenommen hatte, einen Bogen um ihn zu machen.
In den letzten Wochen konnte ich mich an die Regularien gewöhnen. So haben sich die Wünsche, die klaustrophobische Enge der Isolation zu durchbrechen und die neurotischen Hygienemaßnahmen abzuwerfen, verschoben. Nachdem ich zu Beginn noch vom Eingeschlossenwerden in futuristische Kapseln träumte, sind es nun wilde Partys, auf denen mir erst gegen Ende einfällt, dass eine ausschweifende Feier wohl gerade nicht die beste Idee ist.
An dieser Stelle kommt mir eine Möglichkeit in den Sinn, mit der realen Enge umzugehen: Die Erschaffung und Ausgestaltung imaginärer Räume – sei es durch Malerei, Poesie, Komposition oder Tagträume – und den Austausch darüber, wo auch immer dieser noch möglich ist.
Die COVID-19-Pandemie betrifft uns alle, aber nicht jeden Menschen gleich. Die Studierenden der IPU sind im Sommersemester 2020 auf digitale Lehrformate angewiesen, sie erleben die Krisenzeit möglicherweise gar nicht in Berlin und sammeln dadurch ganz unterschiedliche Erfahrungen. Ihre Gedanken bekommen hier ein Forum und legen den Fokus darauf, was mit den Menschen passiert, was in ihnen vorgeht, wie sie fühlen in einer Zeit, die Unsicherheit, aber auch Besinnung bedeuten kann.