Von einem, der auszog die Psychoanalyse zu lernen

Als erster IPU-Absolvent wird Pierre-Carl Link Professor – an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich. Sein Leben ist geprägt von einem Suchen nach einer geistigen Heimat, die er in und mit der Psychoanalyse gefunden hat.

Schon als Kind hat Pierre-Carl Link gespürt, dass er sich für Menschen interessiert. „Die Psyche, das Rätselhafte“ – so nennt er, wovon er fasziniert ist. Sein Vater sei Fußballtrainer gewesen und habe immer wieder mal die jungen Männer auf ein beratendes Gespräch zu Gast gehabt. „Da habe ich so getan, als würde ich spielen“, sagt Pierre-Carl mit einem Grinsen, „aber eigentlich habe ich gelauscht.“ Später waren es Autor:innen und Werke im Deutschunterricht, die sein Interesse weckten. Als junger Erwachsener stand er schließlich vor der Frage: Mit welchem Beruf kann man sich vom Säugling bis zum Greis mit Menschen beschäftigen?

Es ist spannend, Pierre-Carls Geschichte zuzuhören. Sie wirkt, als wäre sein Leben einer Erzählung entsprungen. Dass er jetzt, mit gerade Anfang 30, als erster IPU-Absolvent eine Stelle als Professor in Zürich antritt, scheint geradezu folgerichtig. Es soll bescheiden klingen, wenn er betont, dass die scheinbar ganz natürliche Abfolge seiner Biografie das Ergebnis seiner eigenen Psychoanalyse sei. „Das ist das Schöne an der Analyse“, sagt er, „dass es auch ganz anders sein könnte. Das ist nur die Variante meiner Geschichte, wie ich sie mir gerne zurechtlege.“ Letztlich steckt in diesen Aussagen ein gewisser Stolz, ein Mut, den Pierre-Carl bewiesen hat und beweisen musste.

Aufbruch in eine neue, geistige Heimat

Das Leben des jungen Mannes aus einem Dorf im Norden Baden-Württembergs war nicht nur ein Suchen, sondern auch ein Ausbrechen aus den vorgefertigten Pfaden seiner Herkunft. Man kann Pierre-Carls Geschichte daher auch so erzählen: Gemeinsam mit Eltern und Großeltern wohnte er in einem Mehrgenerationenhaus. Die Eltern führten gemeinsam eine Bäckerei, in der sie ihren Sohn gerne als Nachfolger gesehen hätten. Der wollte stattdessen zuerst Landtierarzt werden, bevor er entdeckte, dass es ihm weniger um die Tiere, als deren Besitzer:innen ging. Daraufhin versuchte er es mit dem Priesterseminar, weil ihm das kirchliche Amt naheliegend erschien. „Es hat sich schnell gezeigt, dass das meine Welt nicht wird“, sagt Pierre-Carl rückblickend. Daher brach er ab und kam in eine Phase großen Zweifelns, die ihn schließlich in das Psychologie-Studium an der Universität Würzburg führten. Doch auch dieses Studium führte er nicht zu Ende.

Diese Brüche sind ebenso Teil von Pierre-Carls Biografie: Auf der Suche nach seiner eigenen Welt, nachdem er für sich die Bäckerei-Welt der Eltern und die Priester-Welt der Kirche ausgeschlossen hatte. Brüche, die zu einer Orientierungslosigkeit führten, die nur nachträglich wie eine Übergangsphase wirken. Als er sein Studium in Würzburg aufgenommen hatte, dort mehrere Fächer gleichzeitig studierte, merkte, dass ihm die klaren Regeln aus dem Priesterseminar fehlten und er auch noch frustriert von den Studieninhalten in der Psychologie war, fasste er einen Entschluss: „Ich brauchte einen Ort, an dem alle Fäden zusammenlaufen.“ Diesen Ort fand er in seiner eigenen Psychoanalyse.

Die Psychoanalyse als Orientierungspunkt

Hört man Pierre-Carl etwas länger zu, kann man dieses Greifen nach Orientierung und Begleitung nachvollziehen. In der Zusammenschau bekommt man einen Eindruck, wie die Anhäufung seiner Tätigkeiten zwangsläufig zu Überforderung führen muss. Gleichwohl ist sein Interesse an der Welt und seine Offenheit in der Begegnung zu spüren. An Pierre-Carls Beispiel zeigt sich, welche Spannung besteht zwischen so stark abweichenden Lebensentwürfen wie dem seiner Handwerker-Eltern und seinem eigenen Streben, seinem Suchen nach einer anderen Heimat, einer geistigen und intellektuellen. Es erscheint wie ein Nebensatz, wenn Pierre-Carl erwähnt, dass er als Jugendlicher einmal das Bedürfnis hatte sich adoptieren zu lassen, „damit ich den Sprung in die andere Welt schaffe.“ Darin zeigt sich, wie schwierig es sein kann, sich von der eigenen Herkunft zu lösen, auf eigenen Füßen zu stehen in einer so anderen Welt als der heimatlichen, in der er auf fremdem Boden laufen musste.

„Ich sehe wieder mehr Psychoanalyse. Nicht unbedingt als Heilkunde, sondern als ein Ort, an dem ich zu mir selbst finden kann, an dem ich zur Sprache kommen kann, an dem mir jemand zuhört. Das muss nicht klinisch-psychotherapeutisch sein.“

Pierre-Carl Link

Mit der Psychoanalyse kam dann auch der Entschluss, selbst Analytiker zu werden. Und die Versatzstücke in seinem Leben begannen sich in eine neue Ordnung zu fügen. In Würzburg gründete er das Collegium Psychoanalyticum, eine Vereinigung zur Förderung der Psychoanalyse im universitären Kontext: „Als Gegengewicht dazu, dass man im Curriculum des Psychologiestudiums nicht an psychoanalytische Inhalte kam.“ Mit der Zeit wurden die regelmäßigen Veranstaltungen zum Erfolg und eine Runde von 50 bis 60 Besuchern fand sich ein, „teilweise auf den Fluren der Universität, weil das Würzburger Psychologische Institut die Raumschlüssel nicht herausgeben wollte.“

Diese Ausgrenzung gegenüber der Psychoanalyse hat Pierre-Carl missfallen. Die Würzburger Zeit beendete er mit dem Entschluss, sein Psychologiestudium nur an der IPU zu Ende führen zu wollen. Während der Zeit des Psychoanalyticums schien für ihn auf, in welche Richtung seine berufliche Zukunft gehen sollte – und würde: „Wir haben immer gesagt, die Psychoanalyse ist nicht nur eine klinische Angelegenheit. Sie war immer auch Kulturtheorie – und sehr früh auch in der Pädagogik verankert.“

Eine psychoanalytische Karriere in der Sonderpädagogik

Schließlich wurde dann die Kirche doch wieder zum Bestandteil seiner beruflichen Karriere. Er ging ins Kloster der Augustiner, für vier Jahre als Bruder Damian, und bekam die Möglichkeit eines zinslosen Kredits, mit dem er das Studium an der IPU in Berlin finanzierte. So kam er zu seinem Masterabschluss in Psychologie, aber psychoanalytisch orientiert.

Zuletzt kommt man unweigerlich zu der Frage, wie es zur sonderpädagogischen Professorenstelle kam, wenn seine Laufbahn doch eine psychoanalytische ist. Das ist für Pierre-Carl kein „dennoch“, sondern ein „gerade deswegen“: „Die Psychoanalyse hat überlebt. Die Frage ist, ob die Orte, an denen sie überlebt hat, so lukrativ und prestigeträchtig sind, dass sie anerkannt wird: Heilpädagogik, Sonderschule, Gefängnis, Gruppenanalyse.“ Psychoanalytisch orientierte Veranstaltungen waren schon in seinem Studium in der Sonderpädagogik angesiedelt. In Regensburg unterstützte er beim Aufbau einer psychoanalytischen Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Auch seine Dissertation verfasst er derzeit im Bereich der Sonderpädagogik, IPU-Professor Bernd Ahrbeck ist einer seiner Betreuer.

Was an Pierre-Carl Links Biografie folgerichtig wirkt, ist ein innerer Zusammenhang, den er durch die Psychoanalyse in der Lage war aufzudecken und herzustellen. Sein Suchen hat zum Finden der Professorenstelle für Erziehung und Bildung bei Beeinträchtigung der sozio-emotionalen Entwicklung an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich geführt. Die Psychoanalyse war ihm ein Leitfaden, ist ihm aber vor allem eine Leidenschaft.