Die Gründerin und Ehrenvorsitzende des Stiftungsrats der IPU Berlin erhielt kürzlich die Richard-Merton-Ehrennadel. Es handelt sich um die höchste Auszeichnung des Stifterverbands, die regelmäßig an herausragende Persönlichkeiten für deren Verdienste im Sinne der Wissenschaft und des Gemeinwohls vergeben wird. Lesen Sie hier die Dankesrede, die Prof. Dr. Christa Rohde-Dachser während der Mitgliederversammlung des Stifterverbandes Ende Juni 2024 hielt.
Sehr geehrter Herr Dr. Zinkann,
sehr geehrte Vorsitzende des Stifterverbands,
Sie sehen mich, wie nicht anders zu erwarten, angesichts dieser Ehrung doch etwas verlegen, auch wenn Herr Prof. Stolte1 mich darüber schon vor einiger Zeit informiert und innerlich vorbereitet hat. Denn die Merton-Ehrennadel, die Sie, lieber Herr Dr. Zinkann, mir gerade überreicht haben, ist ja bei aller Anerkennung, die ich für meine wissenschaftlichen Arbeiten auch von anderer Seite erhalten habe, in vieler Hinsicht doch etwas Besonderes. Sie ist, um Ihre Beschreibung in der gerade gehaltenen Laudatio noch einmal zu wiederholen, die höchste Auszeichnung des Stifterverbands für Persönlichkeiten, die sich mit außergewöhnlichem Engagement für die Gestaltung von Bildung und Wissenschaft eingesetzt und damit auch den Zielen und Aufgaben des Stifterverbandes in besonderer Weise Rechnung getragen haben. Nach meiner Wahrnehmung gilt dies bis heute vor allem für Unternehmer-Persönlichkeiten und Würdenträger:innen des Stifterverbands, und auch sogar einen Bundespräsidenten2 gibt es mittlerweile unter ihnen.
Die Ehrung, die mit der diesjährigen Verleihung der Merton-Ehrennadel an mich verbunden ist, hat mich von daher aber doch auch ein bisschen stolz gemacht und meinen Entschluss bestärkt, meine stifterische Tätigkeit auch über den heutigen Tag hinaus so lang wie möglich fortzusetzen, mit dem sicheren Gefühl, damit nicht allein zu stehen, sondern auch Sie als Stifterverband an meiner Seite zu wissen. Mit der Ehrennadel des Stifterverbands ausgestattet, wird es mir vielleicht sogar gelingen, in Zukunft für dieses Anliegen auch noch andere Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu gewinnen, als dies bis jetzt der Fall ist.
„Wer sein Ziel kennt, findet dazu auch den Weg“ – mit diesen schon 600 v. Chr. formulierten Worten Laotses haben Sie, lieber Herr Zinkann, in Ihrer Laudatio gerade auch sehr anschaulich beschrieben, um was es mir dabei vorrangig geht, nämlich neben der strikt naturwissenschaftlichen Sicht der universitären Psychologie auch dem von der Psychoanalyse formulierten Einfluss unbewusster seelischer Motive auf das menschliche Verhalten den ihm gebührenden Platz einräumen. Mit einer ganz ähnlichen Zielsetzung gründete ich schließlich 2009 zusammen mit Prof. Jürgen Körner auch die erste private Internationale Psychoanalytische Universität in Berlin, die mittlerweile mehr als 700 Studierende zählt und im Oktober dieses Jahres ihr 15-jähriges Bestehen feiern wird.
Manche von Ihnen werden sich vielleicht fragen, warum ich damit gerade der Psychoanalyse einen solchen herausragenden Platz einräume, zumal manche Ansichten Freuds insbesondere auch auf die weibliche Entwicklung heute eindeutig als überholt gelten können, und auch habe ich keineswegs vor, diesem Teil der Psychoanalyse damit eine neue Aktualität zu verleihen. Mein Ziel ist ein ganz anderes, nämlich die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die erstmals von Freud formulierte und seither in vieler Hinsicht weiter entwickelten Rolle unbewusster seelischer Prozesse auf das menschliche Verhalten zu lenken, die sich der rationalen Erforschung entziehen und von daher auch anderer Formen der Selbsterkenntnis bedarf, als dies im Rahmen einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Psychologie möglich ist. Und dies nicht nur auf einer persönlichen, sondern genauso auch auf einer sozialpsychologischen und einer kulturellen Ebene. Damit verbunden ist auch ein anderes, mit naturwissenschaftlichen Methoden allein nicht erschließbares Menschenbild, nämlich das eines Menschen-in-Beziehung, das schon im Mutterbauch seinen Anfang nimmt und ein Leben lang fortbesteht, und das vor diesem Hintergrund auch die Beziehung zwischen Patient:in und Psychoanalytiker:in noch eine ganz andere, wechselseitige Bedeutung bekommt.
Prof. Dr. Christa Rohde-Dachser erhielt die Richard-Merton-Ehrennadel von Dr. Reinhard Christian Zinkann, Präsidiumsmitglied des Stifterverbands. Foto: David Ausserhofer
Was ich dazu nicht nur mit meinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sondern auch mit den mir zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln beitragen konnte, habe ich über viele Jahre hinweg auch getan, und zwar mit dem gleichen bedingungslosen Einsatz, mit dem ich im Alter von 20 Jahren schon einmal Betriebswirtschaft studiert habe, um mit dem dort erworbenen Wissen anschließend in die Spedition meines Vaters einzutreten und das, was er als Bauernsohn auf einer eher handwerklichen Ebene ins Leben gerufen hatte, noch zeitgemäßer oder – wie man heute vielleicht eher sagen würde – zukunftsgerechter zu gestalten. Mein Vater war aber, wie vermutlich die meisten Väter seiner Generation, gleichzeitig auch zutiefst davon überzeugt, dass Spedition Männersache ist, und dass Töchter, die sich plötzlich Diplomkaufmann nennen (eine Diplom-Kauffrau gab es damals noch nicht) und zudem auch noch eine ganz andere Vorstellung von weiblicher Emanzipation hatten, doch nicht so richtig in dieses Weltbild passen. Irgendwann zog auch ich daraus für mich die Konsequenz und riskierte noch einmal einen neuen beruflichen Anfang. Ich ging zurück an die Universität und promovierte dort in Soziologie, dem Fach, dem ich mich schon während meines Betriebswirtschaftsstudiums innerlich mehr oder weniger verschrieben hatte. In diesem Kontext lernte ich auch die Psychoanalyse kennen und schätzen. Irgendwann begann ich, was damals auch noch für Soziologen möglich war, auch eine psychoanalytische Ausbildung, und landete nach weiteren, nicht ganz unerheblichen Anstrengungen schließlich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Psychiatrischen Poliklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, wo ich 15 Jahre lang mit Patientinnen und Patienten arbeitete und mich dabei zunehmend auf das Problem der Borderline-Störungen konzentrierte, über das ich mich schließlich auch habilitierte und mit dem damit verbundenen zweiten Doktor-Titel Dr. rer. biol. hum. habil. auch die Venia Legendi für Psychotherapie und Psychoanalyse erhielt. So ermutigt, bewarb ich mich schließlich 1987 auf den ehemaligen psychoanalytischen Lehrstuhl Alexander Mitscherlichs an der Universität Frankfurt und wurde zu meiner eigenen Überraschung schließlich auch dorthin berufen. Indirekt war damit auch der weitere stifterische Weg bis hin zur Gründung der privaten Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin bereits vorgezeichnet.
Denn wenn man als Professorin für Psychoanalyse an der Frankfurter Universität tagtäglich mit ansehen musste, was mit der Schwerpunktsetzung der akademischen Psychologie auf eine rein naturwissenschaftliche Betrachtung aus der menschlichen Selbsterfahrung ausgeblendet und damit auch jeder kritischen Hinterfragung entzogen blieb, musste man auf Dauer doch irgendwann selber tätig werden. Irgendwann habe ich damals auch angefangen, neben einer Reihe anderer Maßnahmen auch den Gewinn, der mir als Gesellschafterin von Dachser nach wie vor zustand, in eine Stiftung zum Erhalt der universitären Psychoanalyse zu investieren, und zwar zunächst an der Goethe-Universität Frankfurt und einem während dieser Zeit etablierten Weiterbildungsinstitut der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, und ab 2009 in einem nochmals neuen Anlauf in die Etablierung und Weiterentwicklung der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin.
Mein Ziel war, damit nicht nur der Psychoanalyse, sondern auch der Gesellschaft etwas von dem zurückzugeben, was ich dort meinerseits von Geburt an bekommen habe, ohne dass damals umgekehrt jemand etwas von mir verlangte, und dies vor allem von meiner Mutter und meiner Kinderfrau, die mir mit ihrer ständigen Verfügbarkeit so etwas wie ein basales Gefühl der Sicherheit vermittelt haben, Vertrauen in diese Welt, ein Gefühl, dass das Leben sich lohnt und dass es auch bei noch so großen Enttäuschungen immer noch etwas wie Hoffnung gibt, und – dies vor allem – ein unverlierbares inneres Objekt, das einem auch noch im Tode zur Seite steht.
Melanie Klein, eine der bekanntesten Psychoanalytikerinnen des 20. Jahrhunderts, spricht im gleichen Zusammenhang von einem basalen Gefühl von Dankbarkeit, in das ich auch mich mit dem, was ich gegenwärtig mit meinen stifterischen Aktivitäten für den Erhalt der Psychoanalyse tue, gerne einreihen möchte. Und es war nicht zuletzt der Stifterverband, der mir dabei auf vielfache Weise behilflich war. Dafür an dieser Stelle noch einmal auch Ihnen allen meinen ganz herzlichen Dank und das durch die heutige Überreichung der Ehrennadel noch einmal bestätigte Vertrauen, den Stiftungsverband auch dann, wenn ich diese Aufgabe selber einmal nicht mehr selber weiterführen kann, weiter auf unserer Seite zu wissen.
1 Prof. Dr. Stefan Stolte gehörte bis vor kurzem der Geschäftsleitung des Deutschen Stiftungszentrums an und wurde am 5. Juli 2024 in den Stiftungsrat der IPU Berlin gewählt.
2 Richard von Weizsäcker, Bundespräsident a. D., erhielt die Auszeichnung im Jahr 2010.
Zur Meldung des Stifterverbands anlässlich der Auszeichnung von Prof. Dr. Christa Rohde-Dachser. >>>