Effektivität stationärer analytischer Psychotherapie
Gefördert durch: Deutsche Psychoanalytische Gemeinschaft (DPG)
Da psychoanalytische Behandlungsverfahren zunehmend unter Druck geraten, ihre Wirksamkeit durch empirische Studien und systematische Qualitätssicherung zu belegen, erfährt in letzter Zeit die Messung von Konstrukten, die in der psychoanalytischen Theorie begründet sind, besondere Beachtung (Benecke, 2014). Das Konstrukt der strukturellen Beeinträchtigung sowie das Konzept der Mentalisierungsfähigkeit liefern wichtige Hinweise für das Verständnis und die Behandlung von strukturell schwer gestörten Patienten, beispielsweise mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. Trotz der insgesamt kargen Evidenz zur Wirksamkeit stationärer psychodynamischer Therapie (Liebherz & Rabung, 2010) konnte in zwei vorhergehenden Studien zur in der vorliegenden Studie untersuchten stationären Therapie bereits deren Wirksamkeit im symptomatischen und interpersonellen Bereich nachgewiesen werden (Huber et al., 2009; Herrmann & Huber, 2013).
Es soll der Einfluss stationärer analytisch orientierter Psychotherapie auf die Veränderung von Symptomatik, Mentalisierungsfähigkeit und den Grad der strukturellen Beeinträchtigung untersucht werden. Bei der Mentalisierung gehen Konstrukte wie Affektregulation, Affektwahrnehmung, Selbstreflektion und Verharren im Äquivalenzmodus mit ein. Hier sollen auch mögliche Unterschiede bei verschiedenen Diagnosegruppen identifiziert werden.
Das psychoanalytische Modell der Persönlichkeitsorganisation nach Kernberg schätzt das strukturelle Niveau in den drei Funktionsbereichen Identitätsdiffusion, Reife der Abwehrmechanismen und Realitätsprüfung ein. Auch hier soll untersucht werden, ob in verschiedenen Diagnosegruppen in den drei Funktionsbereichen unterschiedliche Beeinträchtigung vorliegt und wie sich diese verändert.
Datengrundlage für die Studie waren 898 Patienten, die sich zwischen März 2013 und März 2016 in stationärer psychoanalytisch orientierter Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums München befanden. Die vorwiegenden Diagnosen waren depressive Störungen, Angst-, Traumafolge-, Ess-, somatoforme sowie Persönlichkeits-Störungen. Mehr als drei Viertel der Patienten wiesen Komorbiditäten auf.
Zur Messung der Symptombelastung füllten die Patienten vor sowie nach der stationären Behandlung folgende Subskalen des Gesundheitsfragebogens für Patienten (PHQ-D; Gräfe et al., 2004; Löwe et a., 2002) aus: PHQ9 (depressive Symptomatik), PHQ15 (somatische Symptomatik), GAD-7 (Angstsymptomatik; Löwe et al., 2008). Zur Messung der Beeinträchtigung basaler Mentalisierungsfähigkeiten diente der Mentalisierungsfragebogen MZQ (Hausberg et al., 2012). Der Grad der strukturellen Beeinträchtigung nach Kernberg wurde mit dem Fragebogen IPO-16 (Zimmermann et al., 2013) gemessen.
Im ersten Schritt wurde die statistische Signifikanz der Veränderung mittels T-Test für abhängige Stichproben überprüft. Unterschiede zwischen den Diagnosegruppen wurden mit einfaktorieller ANOVA getestet. Effektstärken für alle Ergebnisse sollen den Grad der jeweiligen Veränderung zeigen. Mögliche Einflussfaktoren wurden mittels linearer Regression untersucht. In einem zweiten Schritt sollen die Veränderungsraten mittels Latent-Change-Score-Modell bzw. Strukturgleichungsmodell überprüft werden. So sollen mögliche Moderator- oder Mediator-Einflüsse auf die Veränderung von Mentalisierungsfähigkeit und struktureller Beeinträchtigung wechselseitig sowie auf die Veränderung der Symptomatik identifiziert werden.
Bezüglich der Symptomatik war in allen untersuchten Kriterien ein Therapieerfolg hochsignifikant und mit großen Effektstärken feststellbar. Die Verbesserung depressiver Symptomatik konnte mit einer Effektstärke (Cohen, 1988) ES = 1.51 berechnet werden, die Angstsymptomatik mit ES = 1.16 und die somatische Symptomatik mit ES = 0.70. Eine Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeiten wurde mit ES = 0.43 festgestellt, eine Verbesserung struktureller Beeinträchtigung mit ES = 0.25. Die Effektstärken mit denen sich Mentalisierungsfähigkeiten verbesserten sind nach Gignac und Szodorai (2016) als hoch, die Verbesserung struktureller Beeinträchtigung als mittel bis hoch einzustufen.
Patienten mit einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung wiesen erwartungsgemäß vor der Behandlung verglichen mit Patienten ohne diese Persönlichkeitsstörung deutlich höhere Werte in struktureller Beeinträchtigung auf, besonders in der Subskala Primitive Abwehr. Bei diesen Patienten war auch die Mentalisierungsfähigkeit verglichen mit den restlichen Patienten stärker beeinträchtigt; besonders groß war der Unterschied in der Subskala eingeschränkte Affektregulation.
Einflussfaktoren auf den gemessenen Therapieerfolg waren unter anderem Komorbidität und Behandlungsmotivation. So verschlechterte sich das Therapieergebnis mit zunehmender Anzahl an Diagnosen bzw. Komorbiditäten. Vom Therapeuten als kaum motiviert eingeschätzte Patienten profitierten weniger von der Behandlung.
Prof. Dr. Dr. Dorothea Huber
International Psychanalytic University
Stromstraße 3b, 10555 Berlin und
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Klinikum München
dorothea.huber(at)ipu-berlin.de
Joachim Frank, freier Mitarbeiter der IPU