Öffentliche Ringvorlesung SoSe 2023 „Psychosen: Perspektiven, Erklärungen und Herausforderungen“

Veranstaltungsreihe im Rahmen des MA Interdisziplinäre Psychosentherapie vom 21. April bis 8. September 2023

Anmeldung

Bitte melden Sie sich mit dem Betreff „Ringvorlesung Psychose“ sowie dem gewünschten Vortragsdatum mit dem jeweiligen Vortragstitel bis spätestens zwei Tage vor der jeweiligen Veranstaltung an unter: ringvorlesung.psychose(at)ipu-berlin.de

Die Teilnahme an den Veranstaltungen ist kostenlos. Bitte beachten Sie, dass bei erfolgreicher Anmeldung keine Rückmeldung erfolgt. 

Nächster Termin

08. September, 16:00 – 19:00: Kunst Frau Psychose. MUTTiER. Was nicht gesagt werden kann.

Dr. Irini Athanassakis (Paris), Dr. Meredith Stone (Sydney) und Prof. Dr. Dorothea von Haebler (IPU)

In der Vorlesung – einem Gespräch zwischen zwei Psychiaterinnen, einer Künstlerin und dem Publikum – werden die Themen Kunst, Frau und Psychose gleichzeitig verwoben und entflechtet. Die 'psychotische Sprache' wird anhand klinischer Beispiele dargestellt und mit psychoanalytischen Theorien zur Frau und Mutter in Verbindung gebracht. Die Mitgestalterinnen suchen ein Drittes – eine Alternative zur Psychose, und eine Brücke zwischen dem Konzept des außersprachlichen ,MUTTiERs' und dem lacanianischen ,Gesetz des Vaters'. Sie spielen mit Formen des Dritten, explorieren das Potenzial der Kunst und der ,écriture feminine', aber zeigen auch, wie ein Drittes im klinischen Raum, manchmal in den ungeahntesten Strukturen, entstehen kann. Es ist nur im weitesten Sinne eine Vorlesung. Das Publikum wird eingeladen mitzugestalten – Reparaturen vorzunehmen, einen Text zu schreiben, ein Spinnennetz zu spinnen. Hoffentlich regt es an, Psychose weiter zu ‚denken und spüren‘, das Potenzial einer Psychose und einen Umgang damit zu erahnen.

Dr. Irini Athanassakis, geboren 1968, deutscher, österreichischer und griechischer Herkunft, lebt und arbeitet als bildende Künstlerin und Autorin an den Schnittstellen von Kunst-Zoe-Oikos (Kunst-Leben-Ökonomien) bei Paris, in Salzburg und auf Kea (GR). Sie studierte Bildhauerei und Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien, Europäische Betriebswirtschaft am ESB in Reutlingen und London und promovierte 2007 in Kunstgeschichte und Philosophie. Sie hat eine Tochter.

Seit 2011 beschäftigt sie sich mit den Themen Milch und KORE Un/Fruchtbarkeit. Die beim Passagenverlag Wien herausgegebene Publikation Milk. Gabe, Lust und Verlust mit ihren künstlerischen Arbeiten und Texten von renommierten AutorInnen untersucht Milch als (Kunst)Stoff, Gabe, Band und Form einer Ökonomie des Gebens und Verteilens. Das von Nik Thönen gestaltete Buch erhielt 2018 den österreichischen Staatspreis für das schönste Kunstbuch.

Seit Dezember 2021 ist sie als Fellow an w&k Interuniversitäre Einrichtung zu Wissenschaft und Kunst an den Universitäten Paris London Universität Salzburg und Universität Mozarteum Salzburg angesiedelt. Sie forscht und unterrichtet zum Thema KORE (Un/Fruchtbarkeit) und gemeinsam mit Romana Sammern zu den nährenden Substanzen Milch und Honig und Utopien der Fülle. Die Publikationen KORE in/fertilité und Die Farben von Milch sind in Arbeit.

www.iriniathanassakis.eu

www.to-aloni.org
 

Dr. Meredith Stone ist eine australische Psychiaterin, die seit ihrer Kindheit immer wieder Jahre im deutschsprachigen Raum verbracht hat. Ihre klinische Zeit verbringt sie zum Teil als ‘Fly In, Fly Out’ - Psychiaterin auf dem Land im australischen Bundestaat New South Wales, und teilweise als Leiterin der Perinatal Psychiatry and Womens Mental Health im Royal Hospital for Women in Sydney. Sie hat auch einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund, mit Schwerpunkt Kulturgeschichte. Im Wintersemester 2022/2023 war sie Gastwissenschaftlerin an der Internationalen Psychoanalytischen Universität, Berlin.

Veranstaltungsort: International Psychoanalytic University (IPU) Berlin
Raum: Stromstr. 2 (Hörsaal 1)

Vergangene Termine

21. April, 17:30 – 19:00: Wer hilft wem? - Einblicke in eine Gruppenpsychotherapie für Menschen mit (schizophrenen) Psychosen

Prof. Dr. Dorothea von Haebler

Gruppenpsychotherapie ist wieder im Kommen- sie wird gefördert und vermehrt angeboten – doch: für Menschen mit Psychosen? Kaum. Zumindest nicht im ambulanten Kontext. Sowohl im Hinblick auf einen Therapieplatz wie auch als selbstverständliches Angebot der praktizierenden PsychotherapeutInnen gibt es Gruppenpsychotherapie noch seltener als eine Einzelpsychotherapie für Menschen mit Psychosen. Doch die Erfahrungen der Referentin zeigen, dass die psychodynamische Gruppenpsychotherapie eine besonders gute, effektive und spezifische Psychotherapie für Menschen gerade auch mit schweren, langfristigen und / oder komplexen Verläufen einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis zu sein scheint. Die ZuhörerInnen sollen auch anhand von Vignetten einen Einblick in psychodynamische Gruppenpsychotherapien bekommen.

Dorothea von Haebler, Prof. Dr. med., ist Professorin für Interdisziplinäre Psychosentherapie. Sie leitet den entsprechenden Studiengang an der IPU, arbeitet mit dem Schwerpunkt Psychosenpsychotherapie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin und in eigener psychotherapeutischer Praxis. Zudem ist sie Leiterin der psychoseambulanz.berlin mit Schwerpunkt Gruppenpsychotherapie. Gründerin und Vorsitzende des Dachverbandes Deutschsprachiger PsychosenPsychotherapie (DDPP e.V.) 

Veranstaltungsort: International Psychoanalytic University (IPU) Berlin
Raum: Stromstr. 2 (Hörsaal 2)

12. Mai, 17:30 – 19:00: Können wir Wahn verstehen? Eine neurowissenschaftliche Perspektive

Prof. Dr. Philipp Sterzer (Basel)

Wahn wird häufig als paradigmatischer Fall pathologischer Überzeugungen dargestellt, die ihrem Wesen nach irrational und nicht verstehbar sind. Allerdings sind auch gewöhnliche, nicht-pathologische Überzeugungen häufig irrational, was die Frage nach den Unterschieden in der Entstehung von Wahn und gewöhnlichen Überzeugungen aufwirft. Neurowissenschaftlich betrachtet können Überzeugungen als Teil eines inneren Modells der Welt verstanden werden, das unser Gehirn nutzt, um Vorhersagen über die Ursachen der verfügbaren sensorischen Daten zu machen, diese in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und so ein kohärentes Bild der Welt zu konstruieren. Wahn kann als Folge einer Veränderung des Abgleichs von internen Vorhersagen mit sensorischen Daten erklärt werden, die dazu führt, dass Sinnesreize übermässig mit Bedeutung aufgeladen werden. Der dadurch entstehende Erklärungsbedarf begünstigt die Entstehung von Wahn. In dieser Hinsicht besteht jedoch kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Wahn und gewöhnlichen Überzeugungen, die ebenfalls als Versuch eingeordnet werden können, Erklärungen für Unerklärliches zu finden. Diese neurowissenschaftlich fundierte Perspektive bietet einen Erklärungsansatz für die Irrationalität von Wahn und anderen Überzeugungen und könnte einen Beitrag dazu leisten, Wahn besser verstehbar zu machen. 


Prof. Dr. Philipp Sterzer ist Hirnforscher, Psychiater und Psychotherapeut. Seine Forschung beschäftigt sich mit den neuronalen Mechanismen, die Veränderungen der Wahrnehmung und des Denkens im Rahmen psychotischer Störungen zugrunde liegen. Er ist Professor für Translationale Psychiatrie an der Universität Basel und Chefarzt des Zentrums für Diagnostik und Krisenintervention an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Zuletzt erschien von ihm das Buch «Die Illusion der Vernunft: Warum wir von unseren Überzeugungen nicht zu überzeugt sein sollten».

Veranstaltungsort: International Psychoanalytic University (IPU) Berlin
Raum: Stromstr. 2 (Hörsaal 2)

14. Juni, 16:30 – 18:00: Die spannungsvolle Geschichte des Psychose Konzepts – Ein Zeitzeugenbericht

Prof. Dr. Michael von Cranach (München)


Ich werde den Wandel des Psychosebegriffes aus meiner persönlichen Perspektive erzählen: den ersten Kontakt im Rahmen meines Studiums im Jahre 1963 mit ersten Hinweisen auf Jaspers, dann der enttäuschende kraepelinianische Ansatz während meiner ersten psychiatrischen Tätigkeit am Max-Planck-Institut in München 1967/1968 gefolgt von zwei befreienden Jahren am Institute of Psychiatry in London (Alles ist denkbar, solange es klug ist). Nach Rückkehr nach Deutschland Mitarbeit an der Entwicklung der ICD-10 und der Entwicklung eines deskriptiven, multiaxialen Ansatzes, Auseinandersetzung mit Ciompis, Uexkülls und Dörners Kritik. Dann die Konfrontation mit den neuen Perspektiven der Angehörigen sowie der Psychiatrieerfahrenen. Und schließlich die UN-Behindertenrechtskonvention mit einer neuen richtungsweisenden gesellschaftlichen Perspektive.


Prof. Dr. Michael von Cranach war von 1980 bis 2006 leitender ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, das sich unter seiner Führung der Aufarbeitung der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus stellte. Eine wichtige Konsequenz aus der Aufarbeitung der Psychiatrie im Nationalsozialismus war die Psychiatriereform, wobei er sich besonders für die Dezentralisierung der psychiatrischen Versorgung einsetzte, wie auch für die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsprozess. Von 1970 bis 1990 war er Temporary Advisor bei der WHO, Mitarbeiter an der ICD 10 und zeitweise Vorsitzender der Sektion „Nomenklatur und Klassifikation“ der WPA. Er arbeitet seit seiner Berentung in eigener psychiatrisch-psychotherapeutischer Praxis und als Professor an der Hochschule München für angewandte Sozialwissenschaften.

Veranstaltungsort: International Psychoanalytic University (IPU) Berlin
Raum: Stromstr. 2 (Hörsaal 1)

15. Juni, 16:30 – 18:00: „Wenn jemand spricht, wird es hell…“ - Halluzination, Repräsentanz, Psychose in der Psychoanalyse Freuds

Pof. Dr. Christine Kirchhoff (Berlin)


Beginnend mit der von Freud geschilderten Episode, in der ein sich in der Dunkelheit ängstigender kleiner Junge sagt „Wenn jemand spricht, wird es hell...“, geht es im Vortrag um die Konzepte Freuds, die wichtig sind für sein Verständnis der Psychose. Was ist, wenn es nicht hell wird, zumindest nicht auf diese Art und Weise? Wenn die Repräsentation scheitert? Ausgehend von der Bedeutung von Stimme und Sprechen für die psychische Repräsentanz des Objektes geht es um den zugleich klinischen und subjekttheoretischen Gehalt der Freudschen Begriffe. Diskutiert werden die Folgen für den Krankheitsbegriff und den Subjektbegriff. 

Prof. Dr. phil. Christine Kirchhoff, Dipl.-Psych., Professorin für Psychoanalyse, Subjekt- und Kulturtheorie an der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin (IPU), Psychoanalytikerin in eigener Praxis (DPV/IPA). Arbeitsschwerpunkte: Metapsychologie und psychoanalytische Konzeptforschung, Psychoanalyse und Kritische Theorie, Zeitdiagnostik, Psychoanalyse und Klimawandel.

Veranstaltungsort: International Psychoanalytic University (IPU) Berlin
Raum: Stromstr. 2 (Hörsaal 1)

16. Juni, 16:30 – 18:00: Kooperation und Koordination im psychiatrischen Hilfesystem?

Matthias Rosemann, M.A. (Berlin)


Psychische Erkrankungen gehen oft mit weiteren Beeinträchtigungen einher. Sie können zu Behinderungen, Arbeitslosigkeit, Armut oder Wohnungslosigkeit führen, insbesondere dann, wenn die Menschen nicht rechtzeitig die für sie angemessene Hilfen erhalten. Unser gegliedertes System der gesundheitlichen und sozialen Sicherung stellt zwar vielfältige Leistungen sicher, aber diese stehen oft unverbunden nebeneinander. Unter-, Fehl- und Überversorgung sind nicht selten die Folgen. Gerade in Zeiten des immer gravierender werdenden Fachkräftemangels können sich dies weder die Leistungsträger noch die Leistungserbringer leisten und schon gar nicht die Betroffenen und ihr soziales und familiäres Umfeld. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auf vielfältige Weise versucht, zu koordinierten Leistungen zu kommen. Meist aber nur innerhalb der jeweiligen Sozialgesetzbücher und nur wenig leistungsträgerübergreifend. In der Vorlesung wird dargestellt, welche Ansatzpunkte vorhanden und – teilweise – im Aufbau sind, welche notwendigen Leistungen aber noch fehlen und ergänzt werden müssen. Auch die notwendigen Veränderungen auf der Seite der Leistungserbringer werden erörtert, denn sie stellen die Behandelnden, Therapeut:innen und Assistent:innen für die Zukunft vor die Aufgabe, neue Denk- und Handlungsstrategien zu entwickeln.


Matthias Rosemann, Psychologe, Soziologe M.A., Geschäftsführer Träger gGmbH Berlin-Reinickendorf, stellvertretender Vorsitzender der Aktion Psychisch Kranke e.V.

Veranstaltungsort: International Psychoanalytic University (IPU) Berlin
Raum: Stromstr. 2 (Hörsaal 1)

30. Juni, 17:30 – 19:00: Phantasien zu einer Psychose der Zukunft

Prof. Dr. Thomas Bock (Hamburg)

Wozu haben wir die Fähigkeit und warum gibt es die Notwendigkeit, aus der Realität auszusteigen? Werden Psychose-Inhalte vom Zeitgeist bestimmt, sind sie archaisch oder biographisch geprägt? Sind Psychosen dysfunktional oder funktional, störend oder sinnhaft - oder immer alles zugleich? In welcher Weise prägt die äußere Bedrohung die innere Verarbeitung? Schützen uns Psychosen oder machen sie uns schutzlos? Werden wir in Zukunft die Psychose noch nötig haben oder nötiger denn je? Wie wird sie aussehen? Wo und wie wird sie erlebt, bewertet, behandelt? Warnung: Der Vortrag enthält Ahnungen, Befürchtungen, Hoffnungen, wird eine Suche, ein Puzzle, Kippbild, Chaos sein. Wie sonst?

Thomas Bock, Prof. Dr. phil., Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychiatrie, Psychologischer Psychotherapeut, über 40 Jahre Universitätsklinikum für Psychiatrie und Psychotherapie Hamburg-Eppendorf (UKE). Mit Dorothea Buck Mitbegründer der Psychoseseminare und weiterer trialogischer Projekte. Autor zahlreicher wissenschaftlicher Beiträge, von Fach- und zwei Kinderbüchern.

Veranstaltungsort: International Psychoanalytic University (IPU) Berlin
Raum: Stromstr. 2 (Hörsaal 2)