Prekäre Assoziationen


Veranstaltungsreihe der krIPU zur blickpunkthaften Kritik der gesellschaftlichen Zurichtung des Subjekts.

Die Assoziation zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen, die bereits Freud dazu veranlasste, die Neurosen mit dem Schicksal der menschheitlichen Entwicklung zu verbinden, ist prekär. Denn das Ganze hat sich gegen den Einzelnen gewendet, arbeitet beständig an der Zerstörung eben dieser Assoziation. Davon bleiben auch das Denken und die Psychoanalyse selbst – oder das, was davon übrig ist – nicht verschont. Die "krIPU Berlin" lädt ein zu "Prekären Assoziationen", einer Vortragsreihe zur blickpunkthaften Kritik dieses Zustands.

Den Auftakt wird am 30. Juni die Soziologin Alexandra Schauer (Institut für Sozialforschung, Frankfurt a. M.) machen, die Anfang des Jahres mit "Mensch ohne Welt" eine "Soziologie spätmoderner Vergesellschaftung" vorgelegt hat. In ihrem Vortrag wird sie – ausgehend von Sartres Drama "Huis Clos" und unter Rückgriff auf die ältere Kritische Theorie – nach den gesellschaftlichen Bedingungen fragen, unter denen Leiderfahrungen, nicht zu einer Solidarisierung, sondern zu einer destruktiven Krisenverarbeitung führen, in denen der Mensch sich selbst wie anderen zur Hölle wird.

Am 27. Juli wird sich die Psychologin Lea Wiese (Wien) dem "Boom" der Psychoanalyse im Iran und des Irans in der Psychoanalyse widmen und nach den Grenzen der freien Assoziation unter den Bedingungen autoritärer Gesellschaften fragen.

Später im Jahr, am 28. September, wird dann der Kulturwissenschaftlicher Robert Zwarg (Leipzig), der zahlreiche Texte des marxistischen Autors Mark Fisher übersetzt hat, über die Diagnose der Erschöpfung und ihre häufig unberücksichtigt bleibende Kehrseite der Mobilmachung von der kapitalistischen Moderne bis heute referieren.

Die krIPU ist eine Initiative von Studierenden und MitarbeiterInnen der IPU Berlin, die sich regelmäßig trifft und Veranstaltungen organisiert, um die Möglichkeiten und Grenzen einer gesellschaftskritischen und politischen Psychoanalyse, ihre überschaubare Geschichte und ihre ungewisse Zukunft zu diskutieren. Interessierte sind eingeladen, sich in Verbindung zu setzen.

Details

Vortrag und Diskussion mit Alexandra Schauer (Frankfurt a. M.)
19:00 Uhr, Alt-Moabit 91B, Raum 04


— 1944 wurde inmitten des besetzten Paris das Stück »Huit Clos« von Jean Paul Sartre uraufgeführt, in dem an entscheidender Stelle der Satz fällt: »Die Hölle, das sind die anderen«. Es handelt von drei Personen, die gemeinsam in einen Raum eingesperrt sind, dessen einziger Ausgang fest verriegelt ist. Sie alle haben sich in ihrem Leben etwas zuschulden kommen lassen und sie alle befinden sich, wie sich im Laufe des Stückes herausstellt, in der Hölle. Allerdings werden ihnen die Qualen, die sie an diesem Ort erleiden, nicht von einer fremden Macht zugefügt, sondern sie selbst erweisen sich wechselseitig als ihre Folterknechte.

Der Vortrag setzt an dem im Stück Geschilderten an. Er fragt nach den gesellschaftlichen Bedingungen, in denen gesellschaftliche Leiderfahrungen, wie sie durch die drei Hauptpersonen verkörpert werden, nicht zu einer Solidarisierung, sondern zu einer destruktiven Krisenverarbeitung führen, in denen der Mensch sich selbst wie anderen zur Hölle wird. Dafür wird einerseits auf Überlegungen der älteren Kritischen Theorie zur Dialektik der Integration zurückgriffen, worunter ein widersprüchlicher Prozess der Vergesellschaftung zu verstehen ist, der »davon (zehrt), daß die Menschen dem, was ihnen angetan wird, auch ihr Leben verdanken« (Theodor W. Adorno). Andererseits soll sich ausgehend von diesen Überlegungen der Gegenwart zugewendet werden, um den aggressiven und autoaggressiven Verarbeitungsformen heutiger Krisen nachzugehen.

Vortrag und Diskussion mit Lea Wiese (Wien)
19:00 Uhr, Stromstr. 3b, Raum 04

— Während im Iran in den letzten Jahrzehnten große Teile der jungen Bevölkerung in immer kürzer werdenden Abständen ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihrem Unmut gegenüber dem Regime in Protesten Ausdruck zu verleihen, »boomt« die Psychoanalyse im Land. Und auch außerhalb des Iran scheint man sich für die Wissenschaft des Unbewussten in der »Islamischen Republik« zu interessieren. Doch wie frei lässt es sich auf und hinter der Couch, inner- und außerhalb des Behandlungsraums unter totalitären Verhältnissen, wie sie im Iran bestehen, tatsächlich assoziieren? Ausgehend von den Veröffentlichungen der in Teheran praktizierenden Analytikerin Gohar Homayounpour begibt sich der Vortrag auf eine Spurensuche zwischen »Frauen, Leben, Freiheit« und dem, was die Psychoanalyse (noch) mit diesen zu tun hat.

Vortrag und Diskussion mit Robert Zwarg (Leipzig)
19:00 Uhr, IPU Berlin, Stromstr. 2, Hörsaal 1

— Die Rede von der Erschöpfung – der gesamten Gesellschaft, ihrer Subjekte oder der Natur – hat seit einigen Jahren Konjunktur und ist zum Inventar einer sozialdiagnostischen Rhetorik geworden. Der Vortrag widmet sich der Erschöpfung und mit ihr assoziierten Phänomenen wie der Depression, dem Burnout oder der Müdigkeit in einer gegenwartsorientierten wie historischen Perspektive, die zur Diskussion um die Neurasthenie um 1900 zurückführt. Von dort aus soll einerseits die Reichweite jener Diagnosen diskutiert und andererseits darauf hingewiesen werden, dass der Erschöpfungs- und Müdigkeitsdiskurs von Beginn an von einer Rhetorik der Aktivierung und der Mobilmachung begleitet wurde, die in aktuellen sozialkritischen Diagnosen häufig unterbelichtet bleibt.

Referent:innen

Dr. Alexandra Schauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung. Ihre Forschungsinteressen liegen an der Schnittstelle von Sozialphilosophie, kritischer Gesellschaftstheorie und Psychoanalyse. Zuletzt erschien ihr Buch »Mensch ohne Welt. Eine Soziologie spätmoderner Vergesellschaftung« (2023) im Suhrkamp Verlag.

Lea Wiese hat Psychologie studiert, ist in Wien als klinische Psychologin tätig und Ausbildungskandidatin der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV). In der Zeitschrift »Kinderanalyse» publizierte sie über Impulse aus Anna Freuds und Dorothy Burlinghams »Hampstead War Nurseries« für die psychologische Arbeit mit Flüchtlingskindern heute (2019). In der »Sans Phrase« schrieb sie über »Psychoanalyse unter iranischen Verhältnissen« (2021).

Robert Zwarg ist freier Autor und Übersetzer und lebt in Leipzig. Zuletzt hatte er die Gastprofessur für kritische Gesellschaftstheorie an der JLU Gießen inne. Letzte Veröffentlichung: »Aus unsicherer Distanz: Über Silvia Bovenschen«, WestEnd 1/2022. Im Spätsommer erscheint, herausgegeben mit Sebastian Tränkle, der Sammelband »Widerhall: Die Dialektik der Aufklärung in Amerika«.