Psychoanalytische Studierendenperspektiven Teil 2

Virologen erklären uns, wie wir Neuansteckungen mit COVID-19 verhindern, die Bundesregierung beschließt Maßnahmen zum „Social Distancing“ und wir alle sollen nach Möglichkeit zu Hause bleiben. Doch was macht das mit uns? In dieser Reihe kommen IPU-Studierende zu Wort, die ihr Erleben der Corona-Zeit zur Sprache bringen.

„Ach, diese Lücke“

von Ramona Franz

In seinem autobiografischen Roman Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke beschreibt der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff seine frühen Erwachsenenjahre, die er nach dem Verlust seines Bruders fernab seiner Heimatstadt erlebt. Obwohl glücklicherweise die Mehrzahl der Deutschen (noch) nicht den Tod eines nahestehenden Menschen aufgrund des Coronavirus erleben musste, klaffen doch unübersehbar viele andere Lücken. Sie sind sichtbar im Straßenbild – Menschen, die Abstand halten, geschlossene Geschäfte, Kinos, Bibliotheken, Schulen, Theater.  Und unsichtbar tun sie sich mitunter auf in zwischenmenschlichen Beziehungen und in uns selbst, wenn Ängste aufgrund der aktuellen Lage so groß werden, dass man zuweilen in unerträgliche paranoid-schizoide Zustände rutscht.

Die unsichere Datenlage, die Unklarheit über die Angemessenheit der Maßnahmen, die Angst vor dem Virus, vor der ungewissen Zukunft und vor weiteren Einschränkungen mobilisieren Abwehrmechanismen, die teils verschwörungstheoretische Züge annehmen, teils verleugnen oder im Lachen über satirische Kommentare ihren Ausdruck finden. Ambivalenztoleranz ist gefordert – und doch einmal mehr so schwer zu erlangen.

Daneben gibt es Hoffnung, dass Vater Staat (Olaf Scholz) und Mutter Merkel uns gut durch diese Krise bringen. Dass Rechtsextremisten anscheinend von der derzeitigen Lage nicht profitieren können, ist wohl leider auch Resultat dessen, dass autoritäre Sehnsüchte in der Regierung und unter – meist männlichen – Experten Erfüllung finden (können). Bleibt zu hoffen, dass die mitunter idealisierend anmutende Zuwendung zu namhaften Virologen nicht in Entwertung kippt, die Lust an autoritärer Führung den Verstand nicht benebelt und sich die gegenwärtige Gesellschaft außerdem als eine erweist, die mittlerweile die Fähigkeit zum Trauern erworben hat.

Grund dazu gibt es allemal: Tröstende Selbstobjekt-Erfahrungen sind nur mit Abstand oder ersatzweise via Telefon und Videokonferenz realisierbar, die Ideale europäischer Solidarität wackeln gewaltig in Anbetracht von Grenzschließungen, Verteilungskämpfen und überfüllten Flüchtlingslagern. Und das Größenselbst der starken deutschen Wirtschaft zeigt deutliche Risse, die freilich mit milliardenschweren Fonds zu kitten versucht werden.

Vielleicht ist es in Anbetracht von Klima- und Coronakrise nun an der Zeit, die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Kultur neu zu stellen, Omnipotenzphantasien zu hinterfragen und zu trauern über die Lücken, die dies unvermeidlich reißt. Mit Nationalismen und Unabhängigkeitsbestrebungen zu reagieren, scheint dagegen zwar verständlich, aber unangebracht, zeigt uns diese Krise doch vor allem, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind.

Der Wunsch nach dem starken Mann und die Notwendigkeit von Feminismus während Corona

von Hanna Sophie Brögeler

Die Corona-Krise hat deutlich gemacht: Führungspositionen in Gesellschaft und Politik sind von Männern besetzt. Nicht nur das: Der Ruf nach dem starken Mann wird lauter. Kaum hatten sich die ersten NachbarschaftsCovidSupport-Telegramgruppen gebildet, wurden Petitionen gestartet, die stärkere Einschränkungen des individuellen und öffentlichen Lebens mit härteren Strafen forderten. Dabei scheint es so manchen ein Dorn im Auge zu sein, dass die Bundeskanzlerin eine Frau ist und kein Mann. In Umfragen steigt die Beliebtheit Markus Söders, er mache zwar nicht alles richtig, aber immerhin, er mache. Gewünscht ist ein Macher, eben ein richtiger Mann.

Daher verwundern Tweets, wie dieser der CDU, nicht: „Diese schlimme Zeit macht jetzt hoffentlich auch dem Letzten klar, dass Professoren für Medizin, Chemie und Biologie unendlich viel wichtiger sind als solche für 'Gender Studies'.“  Der gesamte öffentliche Diskurs ist geprägt von weißen, männlichen „Führungspersönlichkeiten“, die – und das ist vielleicht neu – ihre Autorität manchmal auch mit Wissenschaft begründen. Dass Frauen und nicht binäre Personen Wissenschaftler_innen sind, kann keiner so richtig glauben und will auch keiner so richtig hören. Ja, es gibt Virologinnen! Wie das Magazin pinkstinks zeigt, ist auch in der Forschungsgruppe der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften) der Anteil der Männer mit Namen Thomas höher als der Frauenanteil. Dabei sind die Frauen in den noch immer signifikant zu benennenden „weiblichen Berufen“ an der Belastungsgrenze und unterbezahlt – aber systemrelevant. Wo sind deren Vertreterinnen auf politischer Ebene repräsentiert?

Die Gewalt gegenüber uns Frauen in unseren Wohnungen steigt an. Die Aggression gegen uns Frauen und sichtbar queeren Personen im öffentlichen Raum nimmt zu. Es ist deutlich, wir müssen auf uns aufpassen und unseren Platz erkämpfen. Diese Krise zeigt, dass Feminismus kein Trend ist, der beinahe vorbei ist, sondern akut lebenswichtig. Aber auch, weil die Gefahr besteht, dass die führenden, um „Vormacht konkurrierenden“ Männer selten aufgrund von Kompetenzen Entscheidungen treffen, müssen wir jetzt Kritik üben und inklusive öffentlichen Debatten einfordern. Vielleicht musst Du als Mann mal einen Schritt zurücktreten und für das Angebot, das dir gemacht wird, eine Frau oder nicht binäre Person empfehlen.

Die COVID-19-Pandemie betrifft uns alle, aber nicht jeden Menschen gleich. Die Studierenden der IPU sind im Sommersemester 2020 auf digitale Lehrformate angewiesen, sie erleben die Krisenzeit möglicherweise gar nicht in Berlin und sammeln dadurch ganz unterschiedliche Erfahrungen. Ihre Gedanken bekommen hier ein Forum und legen den Fokus darauf, was mit den Menschen passiert, was in ihnen vorgeht, wie sie fühlen in einer Zeit, die Unsicherheit, aber auch Besinnung bedeuten kann.